Die Nacht der Schakale
Gespräch mit einem Hamburger Journalisten über den Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus gewitzelt hatte: »Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus – im Sozialismus ist es genau umgekehrt.«
Konopka hatte lachend, der Reporter verblüfft reagiert. Und dann war der rote Diplomat zur nächsten Klassifizierung gekommen: »Der Kapitalismus macht soziale Fehler und der Sozialismus kapitale.«
»Und warum kommen Sie dann nicht zu uns in den Westen, Herr Konopka?« hatte der Journalist erwidert und die Antwort erhalten: »Weil ich diese Fehler abstellen möchte.«
In Raten, auf Umwegen erreichte Konopka den Kudamm, gegen 22 Uhr 37. Auf Höhe des Hotels Kempinski stand ein grauer VW-Käfer, dessen rechte Türe unverschlossen war. Der Mann aus Ostberlin stieg ein, rutschte nach links, schaltete Zündung und Scheinwerfer ein, löste die Handbremse. Er fädelte sich in den Verkehrsstrom, reihte sich kurz vor der nächsten Ampel links ein und wählte mit Richtung Gedächtniskirche den denkbar längsten Weg zum Grunewald.
Er fuhr langsam, hatte das Autoradio eingeschaltet. Die in den Fond brodelnde Musik konnte das Richtmikrofon nicht stören, aber unerwünschte Zuhörer ausschließen, während der Mann aus dem Osten die Minispule besprach:
»ACHTUNG!« begann er. »GEHEIMHALTESTUFE I. ANWEISUNG AUSSER DER REIHE.« Während Konopka sprach, fuhr er langsam. Das Mikrofon war nicht zu sehen. Er hatte beide Hände am Steuer, den Blick auf der Straße. Falls er wirklich von außen beobachtet würde, wirkte er wie ein Mann, der vor sich hinfluchte oder Selbstgespräche führte. Nach knapp zwei Minuten hatte er das Miniband mit Befehlen munitioniert. Während der Fahrt schob er die Kassette in die Jackentasche. Tote Briefkästen gab es in Berlin wie Sand am Meer, aber in diesem Sonderfall zog Konopka ausnahmsweise einen lebenden vor.
Das Band würde sich automatisch löschen, wenn es Unbefugten in die Hände fiel. Der Aufwand war nicht übertrieben. Es stand einiges auf dem Spiel, und zwar für den Osten wie für den Westen. Nur aus diesem Grund hatte Konopka heute Europas längste Mauer hinter sich gelassen. Er mußte die Geheimanweisungen im Kopf über den Kontrollpunkt schmuggeln, um sie nicht den Zufälligkeiten des Grenzübertritts auszusetzen.
Konopka ließ den VW-Käfer stehen. Er war sicher, daß ihn sein Eigentümer bald finden würde. Bis zum Blauen Haus mußte er nur noch zweimal um die Ecke. Die letzte Strecke gingen die meisten Besucher des Privatklubs zu Fuß. Es war verpönt, in seiner Nähe den Wagen abzustellen.
Sein Ziel lag im verträumten Ende eines leicht verwahrlosten Parks. Das Gebäude war mit wildem Wein bewachsen; man konnte nicht feststellen, ob es ursprünglich blau gewesen war. Konopka drückte die Klingel und nannte einen Namen.
Das Schloß sprang elektrisch auf; er trat in einen Vorraum. Erst als er die Türe geschlossen hatte, wurde er hell ausgeleuchtet. Vermutlich erschien er jetzt, von einer automatischen Kamera erfaßt, auf einem Bildschirm irgendwo im Haus, wo der Klubmanager prüfte, ob Name und Gesicht übereinstimmten.
Erst in diesem Fall sprang die nächste Türe auf – wie in diesem Moment.
Als Spitzenmann des Ostens mußte Konopka an diesem Ort exotischer wirken als die farbigen Diplomatentöchter nebst ihren Freundinnen, nur wußte es niemand. Das bedeutete, daß seine Bürgschaft ein ganz hoher Pate übernommen hatte.
Die Musik war angenehm gedämpft, das Licht weich moduliert. Die Halle wirkte groß, sparsam, doch nicht spärlich möbliert. Offensichtlich hatte hier Geld dem Geschmack geholfen, statt ihn zu bestimmen. Nebenan gab es kleinere Gesellschaftsräume, im Souterrain ein Hallenschwimmbad.
Konopka trat an die kleine Bar in der Ecke, sagte »Guten Abend« und wurde dadurch teilnahmeberechtigt an den Zufälligkeiten des Abends. Das weite Oval war zur Hälfte besetzt, Herren in knapper Überzahl. Die Damen sahen ungewöhnlich gut aus, nicht weil das Licht ihnen schmeichelte. Auch die Herren konnten sich sehen lassen. Der Mann aus dem Osten kannte niemanden, weder persönlich noch von dem Foto in seinem Dossier.
Der Blickfang nannte sich Bianca, offensichtlich eine Südamerikanerin. Sie trug ein gehäkeltes Wollkleid auf der bloßen Haut; es heizte den Umsitzenden beiderlei Geschlechts offensichtlich ein, daß man nicht sah, was man doch sehen müßte.
Es gab keinen Keeper an der Bar, entweder es übernahm einer der Gäste dieses Amt
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