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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schwung, ein Überziehungskredit moralischen Vorstellungsvermögens.
    Im Jahr 1963 hatten sich erstmals der Ostberliner Anwalt Wolfgang Vogel und sein westlicher Gegenspieler Jürgen Stange zusammengesetzt, um über die Freilassung politischer Häftlinge zu verhandeln. Die beiden Rechtsanwälte und Duzbrüder arbeiteten mit großem Erfolg: Bereits zwischen den Jahren 1964 und 1975 wurden 11.000 Häftlinge für 761 Millionen Mark freigekauft.
    Es war erst ein Anfang; 1976 kamen 1.200 Häftlinge gegen 80 Millionen hinzu und ein Jahr darauf 1.300 gegen 96 Millionen. Die Zahl der Häftlinge stieg, die Preise kletterten – unter ostdeutschem Hinweis auf die Inflation – ebenfalls höher.
    Der DDR-Anwalt erhielt den Vaterländischen Orden in Gold, den er stets im Knopfloch trug, und sein westdeutscher Kollege hatte es vermutlich nicht nötig, sich nach anderen Goldquellen umzusehen. Das abscheuliche Geschäft florierte, und die beiden Juristen taten zudem etwas für die Menschlichkeit, der eine zugunsten der Kapitalisten, der andere für die Kommunisten, wenn auch beide – bei verschiedener Gesinnung – mehr eine westliche Lebensweise bevorzugten.
    Aus Anlaß des 25jährigen DDR-Bestehens amnestierte Erich Honecker, der Vorsitzende des Staatsrats, 31.000 Verurteilte, unter ihnen viele politische Strafgefangene. Sein Tauschobjekt war dadurch auf eine Kopfzahl von 700 gesunken, aber Stasi- und Vopo-Beamte sorgten dafür, daß der Nachschub rollte, und so lief bis in die Gegenwart dieser Handel jedenfalls weit besser als die Wirtschaftskonjunktur und der Rückfall in die menschliche Steinzeit war krisenfest und zukunftsträchtig.
    Genaue Zahlen werden von Bonn nicht veröffentlicht, aber Insider gehen davon aus, daß auf den Karawanenwegen des modernen Sklavenhandels via Grenzübergang Eisenach-Herleshausen jährlich 1.500 Menschen und bis zu 150 Millionen Mark in Gegenrichtung wechseln. Der Osten begründet den kriminellen Handel und Wandel – Devisen gegen Menschen – mit ›materieller und moralischer Wiedergutmachung‹ der Westen mit Humanität.
    »Der Ypsilon-Fall ist sakrosankt«, trat der Minister wieder in das Gespräch ein. »Er kann nicht geändert, er darf nicht einmal angetastet werden. Das wissen Sie doch, Ritter«, setzte er hinzu und betrachtete einen Moment seine beiden Gesprächspartner. »Wir können doch nicht die Transitwege nach Berlin gefährden.«
    »Das können wir wirklich nicht«, bestätigte der Ressortchef aus Pullach. »Und das wollen wir auch nicht. Es handelt sich – wie gesagt – um einen Bluff.«
    »Und wenn die DDR darauf hereinfällt?«
    »Bevor die Sache richtig anläuft, ist sie auch schon zu Ende«, erwiderte Ritter, »Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Sie brauchen nichts anderes zu tun, als Missionschef Keil mitzuteilen, daß die Maßnahmen bei Eintreffen des Falls Ypsilon vorübergehend außer Kraft sind. Er wird es an die vier Verdächtigen, Wolf, Lamm, Pahl und Schimansky, vertraulich weitergeben. Wir beobachten die Reaktion – und entlarven den Maulwurf.«
    Der hohe Politiker machte ein bestürztes Gesicht, starrte einen Moment lang seine Besucher an und schüttelte den Kopf. Er verstand nicht viel von den Machenschaften der unsichtbaren Front; er wußte, daß sie notwendig und lästig und zudem noch gefährlich waren, und er fragte sich, ob es zu verantworten sei, vier unbescholtene Beamte bewußt und vorsätzlich zu belügen, um – möglicherweise – einen fünften als Ost-Agenten zu entlarven. Er stand unter doppeltem Druck. Er durfte nichts versäumen, aber er konnte auch die Lunte nicht an ein Pulverfaß legen.
    »Könnten wir denn nicht Herrn Keil unter der Hand wissen lassen, daß es sich nur um eine begrenzte Finte handelt?«
    »Nein«, erwiderte Ritter. »Keil ist der Mann, aus dessen Büro vertrauliche Nachrichten durchsickern – vermutlich ohne seine Schuld.«
    »Und wie soll ich ihm hinterher einen solchen Vertrauensbruch erklären?« fragte der Politiker.
    »Ich nehme an«, antwortete Ritter, offensichtlich kein großer Freund des Karriere-Diplomaten auf dem wackeligen Stuhl von Ostberlin, »daß es ihm lieber sein wird, unfreiwillig an einem glückhaften Schachzug teilgenommen zu haben als seinen Hut zu nehmen, weil sich in seiner Umgebung ein zweiter Guillaume eingenistet hat.«
    Der Minister blickte konzentriert ins Leere.
    »Übrigens ist das eine Idee von Mister Cassidy«, sagte der BND-Mann.
    »Amerikanische Rückendeckung?« fragte der

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