Die Nacht der Schakale
AA-Chef.
»Ja«, erwiderte der CIA-Beauftragte. »Inoffiziell. Sie müssen sich das so vorstellen, Herr Minister: Ein Rinnsal versickert irgendwo und kommt an ganz anderer Stelle wieder zum Vorschein. Um den unterirdischen Weg festzustellen, gibt es ein probates Mittel: Sie färben die Flüssigkeit und decken so den Wasserlauf auf.«
»Wer kennt diese verdammte Idee noch?«
»Außer uns hier nur der Chef des Bundeskanzleramts, der mit dem Versuch einverstanden ist – Ihre Zustimmung vorausgesetzt, Herr Minister –, und der BND-Präsident«, entgegnete der Amerikaner.
»Sonst niemand?«
»Das können wir garantieren«, stellte der Ritter ohne Furcht und Tadel fest. »Wenn Herr Keil vorzeitig erfährt, daß die neue Weisung im Fall Ypsilon nur ein Placebo ist, dann bringen wir uns um den Erfolg des Scheinpräparats.«
Er lächelt süffisant: »Und wie ich ihn einschätze, steigt er ohnedies ins nächste Flugzeug, kommt nach Bonn und macht hier Wirbel.«
Der Minister nickte; von allem, was ihm diese Untergrundstrategen beizubringen versuchten, war die zu erwartende Reaktion des Bonner Statthalters in Ostberlin für ihn das Einleuchtendste. »Ich kann das nicht entscheiden«, stellte er fest. »Nicht hier und nicht heute.«
»Aber wir stehen zeitlich unter Druck.«
»Ich werde die Sache überschlafen«, entgegnete der Politiker, »und mich morgen früh entscheiden.« Er reichte dem Störenfried aus Pullach die Hand.
»Es ist wie beim Dentisten«, behauptete der Ressortchef ›Auswertung‹. »Ein kurzer Schmerz, und der faule Zahn ist raus.«
Die beiden Geheimdienstler waren sicher, sich durchgesetzt zu haben; sie wußten nur nicht, wo und wie sich der AA-Amtschef abschirmen würde, aber sie setzten darauf, daß am Sonntagmorgen das gewagte Manöver anlaufen könnte.
9
Ihr Gesicht war nicht ausgesprochen schön, doch es wirkte ungemein pikant. Graugrüne Augen. Rötlich getönte, gekonnt geschnittene und asymmetrisch angeordnete Haare, sinnliche Stirn. Ein wissender Mund mit vollen Lippen. Von dem gewissen Etwas, das Frauen für Männer reizvoll macht, hatte sie wahrscheinlich etwas zuviel.
Sie war teuer und geschmackvoll angezogen, Kostüm von Gerragamo im Pastellton, Schuhe und Tasche vermutlich von Valentino, die sündhaft teure Bluse sah nach Yves Saint-Laurent aus. Die gustiöse Pastellrose war ein Blickfang für Männer, aber sie stand unverletzt im Kugelhagel ihrer Bewunderer.
Die Anfangdreißigerin kam täglich kurz nach 16 Uhr in die kleine Hotelbar des Baur au lac in Zürich; sie saß immer am gleichen für sie reservierten Platz und nahm dann, wohl als Ersatz für das Mittagessen, einen kleinen Imbiß, den die Schweizer ›Z'vieri‹ nennen. Es war unschwer zu erraten, daß sie ihre Figur sorgfältig trimmte; sie wirkte vielleicht eine Nuance voller als die Laufstegmädchen in den Modeheften, aber ihre Rundungen saßen an den richtigen Stellen, unübersehbar und doch noch in der richtigen Relation. Sie aß Parmaschinken zur Honigmelone und trank dazu geeisten Orangensaft; den Toast ließ sie stehen. Der Raum war nur halb besetzt, vorwiegend mit Männern. Einige von ihnen stahlen sich mit ihren Blicken zu dieser wohlproportionierten Versuchung am Nachmittag. Die Dreißigerin zeigte nicht mehr Interesse für sie als ein Kannibale für handgeschmiedetes Eßbesteck.
Auch ich war hinter ihr her, nicht als Mann, sondern als Verfolger. Schon eine Viertelstunde vor ihrem Eintreffen hatte ich mir einen Platz in ihrer Nähe gesucht, von dem aus ich sie sehen konnte, ohne daß sie mich bemerkte. Dabei saß ich ihrem Tisch so nah, daß ich mit einigem Glück hören konnte, was gesprochen wurde – aber Selbstgespräche würde sie ja wohl nicht führen.
Ich hatte mir angewöhnt, die Personen, mit denen ich zu tun bekam, nach Möglichkeit vorher anzusehen, um mich besser auf sie einstellen zu können. Anschließend hatte ich vor, Madeleine Dressler, die geschiedene Frau und amtierende Partnerin des TRASCO-Chefs, in ihrem Büro aufzusuchen, um ihren Mann zu sprechen. Ich wußte natürlich, daß er sich zur Zeit in Frankfurt am Main aufhielt und in den nächsten Tagen nach Westberlin weiterfliegen würde.
Die Lady in Pastell war eine bekannte Erscheinung in Zürich, aber die Männer in der Bar starrten sie an wie Salome und Lulu zusammen, wiewohl sie, trotz aller Jungendlichkeit, über dieses Alter wohl hinaus war. Ich versteckte mein Gesicht hinter einer Züricher Zeitung und las einen Artikel, der von
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