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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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dem beabsichtigten Verbot der Peepshows handelte, die man an der Limmat ›Stützli-Sex‹ nannte.
    Ich blätterte auf und las auf der Wissenschaftsseite den Bericht über einen Vortrag des bekannten schweizerischen Psychotherapeuten Jürg Willi. Von der Feststellung, die der Professor in einem Symposium über Familienmedizin wiedergegeben hatte, »im Raum in und um Zürich litten bereits über ein Viertel aller Männer an sexuellen Funktionsstörungen«, war in dem intimen Barraum jedenfalls wenig zu bemerken: Madeleine Dressler war umlagert von Seh-Löwen, und ich fragte mich, ob das vielleicht mit dem erwähnten ›Stützli-Sex‹ in der Lokalzeitung zu tun hatte.
    Sie schob ihren Teller beiseite, griff sich eine Zigarette und ließ das goldene Feuerzeug ein paarmal aufschnippen. Das Edelprodukt des Hauses Cartier versagte. Einer der Umsitzenden sprang auf und kam ihr zu Hilfe. Sie bedankte sich mit einem stummen Kopfnicken, an ihrem Streichholz-Prometheus vorbeisehend wie eine Nonne an einem Aktfoto, aber eine Nonne war sie nicht. Ich wußte aus den Akten, daß die privat, doch nicht geschäftlich von ihrem Mann Getrennte konträre Typen bevorzugte: entweder mußten es junge, gänzlich unerfahrene Anfänger sein oder ausgebuffte, mit allen Wassern gewaschene Routiniers.
    Jedenfalls blieb sie Mauro Dressler, dem Chef der TRASCO AG, nichts schuldig; vielleicht war sie noch immer seine Muse, jedenfalls aber ständig seine Buße.
    Mir ging es nicht darum, wie sie zu ihrem Mann stand, sondern um die Begegnung im Blauen Haus mit dem Genossen Konopka. Daraus wiederum ergab sich die Frage, die weit über eheliche Intimität hinausging: Hatte Madeleine im Auftrag Dresslers als lebender Briefkasten fungiert oder den gefährlichen Botengang hinter seinem Rücken erledigt?
    Ich bezahlte und wollte gehen; in diesem Moment wurde es interessant: Ein Mann mit einem Schnauzbart, groß, vierschrötig, vom Typ her ein etwas vulgärer Schönling, betrat die Bar.
    Auf einmal war die Unnahbare wie verwandelt.
    Ich habe ein Gespür für solche Dinge; ich witterte, daß der Mann Madeleines Liebhaber war. Wichtiger jedoch war für mich, daß ich ihn vom Foto her kannte: Diese Begegnung war die vierte Hochzeit, auf der Erwin Forbach tanzte – als TRASCO-Fluchthelfer, als BND-Agent, als Presseinformant und nunmehr als Nachmittags-Lover.
    Ich beobachtete die beiden eine Weile. Die vierte Rolle schien dem Multitalent am besten zu liegen. Mit einer gewissen Bewunderung für seine Vielseitigkeit verließ ich das Baur au lac in Richtung Bahnhofstraße.
    Die TRASCO war in einem Marmor- und Glasbau angesiedelt; innen viel Edelholz und vorgezeigter Reichtum. Ich erwartete eine Empfangsdame, die vom Aussehen her Brigitte Bardot in ihrer allerbesten Zeit noch schlagen würde – wie bei der New Yorker Verlagsanstalt Fairway House –, und war überrascht, eine ziemlich reizlose graue Maus vorzufinden, die allerdings vor Tüchtigkeit strotzte. Es fiel mir ein, daß sich Mauro Dressler mit weiblichen Schönheiten schmückte wie ein Indianer mit ausgerissenen Adlerfedern, aber das konnte er offensichtlich nur in seiner Freizeit tun; die Personalpolitik in den Geschäftsräumen schien seine Ehemalige zu bestimmen.
    »Brian Singer«, stellte ich mich vor. »Ich komme aus New York.«
    »Herr Dressler ist leider verreist«, erwiderte sie. »Aber wenn Sie sich ein paar Minuten gedulden, können Sie sich an Madame Dressler wenden, die ihn in seiner Abwesenheit vertritt.«
    Sie forderte mich höflich auf, Platz zu nehmen, brachte Zeitschriften, Zigaretten und bot mir eine Erfrischung an.
    Zürich war genau der richtige Ort für einen Geschäftemacher wie Dressler, die Drehscheibe Europas und ein Umschlagplatz des Reichtums, gewissermaßen eine Mischung von Reformation und Mammon, eine anregende Begegnung von Zwingli und Fränkli.
    Die angeblichen Minuten zogen sich in die Länge; der Jahrmarkt-Beau gehörte offenbar nicht zu Professor Jürg Willis Patienten und Madeleine Dressler sicher nicht zu den Frauen, bei denen der Sexualforscher eine Misserfolgsquote von 29 Prozent errechnet hatte.
    »Tut mir leid«, sagte die Empfangsdame. »Sonst komm Madame pünktlich auf die Minute.«
    Sie brachte mir neue Zeitungen.
    Dann erlebte ich eine ganz andere Unterhaltung: Zwei junge Burschen, vom Typ her Südländer, fragten nach dem Firmenchef. Als sie erfuhren, daß Dressler verreist war, begannen sie, gekonnt und ungemein schnell, das Büro zu demolieren. Sie

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