Die Nacht der Schakale
beziehungsweise die Elbe.«
»Wir werden es diesmal schaffen«, behauptete der Mann im Range eines Ministerialrats überzeugt, doch wenig überzeugend.
»Wie ist eine solche Katastrophe überhaupt möglich?« fragte der Minister.
»Das kann ich noch nicht sagen«, wich ihm der BND-Mann aus. »Die Burschen da drüben verstehen ihr Fach. Wenn es ihnen gelingt, auf fremdem Gebiet einen Topagenten in das Vorzimmer des Bundeskanzlers zu setzen, dann ist es für sie ein Kinderspiel, auf eigenem Terrain eine diplomatische Mission anzuzapfen. Entschuldigung«, sagte Ritter und griff nach dem Glas mit Mineralwasser. »Ich habe mir die Personalakten der fünf Verdächtigen angesehen. Sie sind sauber wie Ihre Fingernägel, Herr Minister.«
Der hohe Politiker betrachtete einen Moment lang irritiert seine Hände und schüttelte den Kopf, wiewohl sie natürlich gepflegt waren. »Woher wollen Sie überhaupt wissen, daß wir fünf Verdächtige haben und nicht zehn, zwanzig oder hundert?« fragte der Politiker gereizt.
»Aus derselben Stasi-Quelle«, antwortete Ritter.
»Trübe Quelle.«
»Alle Quellen im Untergrund sind trübe und müssen erst einem Clearing unterzogen werden«, erwiderte der Mann aus Pullach, eine Spur zu fachidiotisch.
»Aber fünf Verdächtige muß man doch auch in Ostberlin auf Schritt und Tritt überwachen können«, entgegnete der Minister. »Außerdem könnten wir auseinanderreißen, auf verschiedene Botschaften verteilen, und …« Er betrachtete den Amerikaner. »Was meinen Sie dazu, Mister Cassidy?«
»Der richtige Weg, Herr Minister«, erwiderte der CIA-Spezialist höflich. »Leider bleibt uns in diesem Fall nicht die Zeit dafür.«
»Und eine Überwachung in Ostberlin stößt auf große Schwierigkeiten«, warf Ritter ein. »Wenn Sie beobachten, daß ein Verdächtiger eine Telefonzelle betritt, wissen Sie nicht, ob er ein Taxi ruft oder mit einem General Lupus spricht.«
Der Minister schwieg verbissen.
»Gut«, sagte er schließlich. »Was schlagen Sie vor?«
»Wir müssen einen gigantischen Bluff inszenieren«, begann Ritter vorsichtig.
»Also Spielmaterial?«
»Ein bißchen mehr. Es muß uns schon eine Geschichte einfallen, die den General Lupus vom Stuhl reißt.«
»Und die hätten Sie parat?«
»Unter Umständen«, erwiderte Ritter. »Aber sie setzt viel Geduld, Fantasie und auch Zivilcourage voraus.«
Der AA-Chef merkte, daß eine schlimme Sache auf ihn zukam.
»Ich denke an den Fall Ypsilon«, fuhr Ritter fort.
Es war, als hätte er auf den Knopf gedrückt, der in einem Jet den Schleudersitz hinauskapituliert.
Der Fall Ypsilon, das Verhalten der westdeutschen Vertretung an der Hannoverschen Straße bei einer eventuellen Vorsprache eines gehetzten DDR-Flüchtlings, war – wie viele Dinge der deutsch-deutschen Beziehungen – ein Tabu, galt für beide Seiten als neuralgischer Punkt. Die Ostpolitik war ein Wechselbalg, der von beiden Seiten beschimpft, getreten und am Leben gehalten wurde, denn die aggressiven Kombattanten waren auch heimliche Kollaborateure. Über die Konfrontation mit Kumpanie sprach man in Bonn ungern, so zum Beispiel über einen ihrer erstaunlichsten Auswüchse: den deutsch-deutschen Menschenhandel.
Der Westen bezahlte, der Osten lieferte.
Seit rund achtzehn Jahren gab es zwischen den beiden deutschen Staaten einen regulären Markt für menschliche Schicksale: Ein östlicher und ein westlicher Rechtsanwalt führten die Vorgespräche, bereiteten kuhhändlerisch den Menschenhandel vor, der tatsächlich nach Viehändlerart abzuwickeln war; Großvieh war teurer als Kleinvieh.
Die Preise wurden für jeden Zweibeiner individuell festgesetzt und per Handschlag besiegelt; sie waren individuell, die Abnahme pauschal. Nicht selten legten die Republiken zwischen Elbe und Oder, Ostsee und Bayrischem Wald noch ein paar Kriminelle darauf, wie der Metzger beim Fleisch die Zuwaage. Natürlich waren diese Freigelassenen von Bautzen billiger als zum Beispiel ein wegen versuchter Republikflucht verurteilter Arzt, der bis zu 200.000 Mark kosten konnte. Ein Arbeiter wurde mit 30.000 ins Angebot gesetzt. Für die Haftentlassung eines Pfarrer-Ehepaares und die Genehmigung zur Übersiedlung mit seinen sechs Kindern in den Westen hatte Bonn 180.000 aufbringen müssen.
Der Schacher blühte. Die Aufmerksamkeit des Staatssicherheitsdienstes der DDR schuf den Mehrwert des Karl Marx, der den Vater des Marxismus heute vermutlich zu einem Konvertiten machen würde. Es war Swing mit
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