Die Nacht der Schakale
ein, Herr Schimansky. Guten Abend, meine Dame, meine Herren«, begrüßte der Hausherr über die abhörsichere Leitung seine bevorzugten Mitarbeiter. »Ich kann Ihnen die Entwarnung mitteilen.« Man hörte förmlich, wie sich sein Selbstbewußtsein blähte. »Der Fall Ypsilon wird also wie bisher durchgespielt. Die Anweisung von gestern war offiziell ein Mißverständnis und, wie ich Ihnen mitteilen kann, ein Mißgriff untergeordneter Instanzen.« Seine Stimme wucherte um die eigene Achse. »Ich habe die Sache in unserem Ministerium persönlich in Ordnung gebracht. Ich werde heute noch mit der Abendmaschine von Bonn zurückfliegen. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit und auf Wiedersehen.«
»Wenn er kommt«, sagte Dr. Lamm lakonisch, »ist die Welt wieder in Ordnung.«
»Viel Lärm um nichts«, erwiderte Cynthia Pahl. »Ich verstehe wirklich nicht, was hier eigentlich gespielt wurde.«
»Seitdem diese Regierung an der Macht ist«, versetzte Schimansky, der ohnedies bald pensioniert würde, »traue ich nicht einmal mehr dem Wetter.«
»Sie haben auch schon bessere Witze gerissen«, entgegnete Ressortchef Wolf; er wollte noch etwas werden vor dem wohlverdienten Ruhestand.
Die Entwarnung aus Bonn brachte nur eine scheinbare Beruhigung in die Hannoversche Straße, denn sie machte die Vermutung der intelligenten Diplomatin nur noch wahrscheinlicher. Lamm und Wolf, die sonst eher zueinander standen wie Katz und Maus, gingen in der Hotelbar des Metropol noch ein Bier trinken. Diese kesse Legationsrätin teilte Schimansky mit, daß sie morgen früh zum Friseur nach West-Berlin müsse und vermutlich mit zwei Stunden Verspätung ihren Dienst antreten würde.
»Ihre Haare sind doch prächtig«, entgegnete er.
»Waschen und Schneiden«, antwortete Cynthia und legte einen Moment lang ihre Hand auf Schimanskys Arm. »Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen«, sagte sie. »Ich bin gar nicht naturblond.«
Er hatte auf die Enthüllung ganz anderer Geheimnisse gehofft, aber von der Stelle aus, an der sie ihn berührt hatte, schoß die Wärme durch seinen Körper. Schimansky schluckte, leicht verwundert, wie stark das Verlangen noch sein konnte bei einem Mann in den zweitbesten Jahren. Einen Moment lang wurde er klassisch und elegisch und dachte an das Dichterwort, daß von allen Lebewesen der Mensch am schmerzhaftesten das Alter empfände.
Cynthia ließ ihren Wagen stehen und ging zu Fuß. Sie schlenderte die Friedrichstraße entlang, vorbei am Pressehaus; sie sah sich um und betrat dann die Telefonzelle. Sie wählte die Berliner Ortsnummer 55 00 19, dann die Nebenstelle 44 09, sprach nur einige Worte und legte auf.
Sie sah auf die Uhr; sie hatte noch Zeit.
Die Legationsrätin erreichte die Prunkstraße Unter den Linden, blieb einen Moment stehen und sah nach Westen. Das Brandenburger Tor lag im Glanz der späten Nachmittagssonne, und die berühmte Quadriga reckte dem Osten das Hinterteil zu. Beim Mauerbau war es 1961 hier zu Handgreiflichkeiten gekommen. Seitdem wurde das Tor symbolisch nicht mehr als Passage verwendet. Nur die russische Ehrenwache durchschritt es über einen Seiteneinlaß, wenn sie zum sowjetischen Ehrenmal in der Nähe des auf westlichem Gebiet liegenden Reichstagsgebäudes marschierte.
Die Legationsrätin liebte es, in der Prunkstraße Unter den Linden zu promenieren. Sie begegnete huldigenden Blicken, obwohl man ihr die Westlerin sofort ansah und Landsleute im Osten auf ihre Landsleute im Westen nicht immer gut zu sprechen waren. Aber lässige Eleganz war auch in der DDR-Hauptstadt gefragt; selbst zu Zeiten, in denen es fast nichts gegeben hatte, war den Berlinerinnen der Weltstadtchic erhalten geblieben.
Cynthia mochte den anderen Teil Deutschlands, die unverdorbene Lebensart, die unversehrten Weichbilder der Städte. Weimar war Weimar geblieben und kein Zementsilo geworden, das Kulturdenkmäler verschüttete. Selbst in dem vom 363 Luftangriffen heimgesuchten Berlin hatte man den Ostteil der Stadt mit großer Behutsamkeit und historischer Treue wieder aufgebaut. Es gab keine Kultstätten, die von Großgaragen, Supermärkten, Hochhäusern und Selbstbedienungsrestaurants bedrängt wurden.
Die Diplomatin mochte auch die Art der DDR-Bürger, mit Engpässen und Polit-Molesten fertig zu werden und dabei aus ihnen noch einen Witz zu machen; ›Warum hängt in den DDR-Metzgerläden wenigstens eine Salami-Attrappe? – Damit man sie nicht mit einem Fliesengeschäft verwechselt.‹ Oder: ›Warum gibt es
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