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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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noch dazu so rasch?« fragte der aufgebrachte Ressortleiter. »Verlassen Sie sich darauf, das ist die Einleitung eines Nervenkrieges gegen uns.«
    »Dann hätte der Staatssicherheitsdienst ihn ja schon gewonnen«, ironisierte Schimansky, »wenigstens soweit es Sie betrifft, Herr Wolf.«
    »Wissen Sie noch immer nicht, in welchem Staat wir leben?« schlüpfte ein Angepaßter aus seiner geschundenen Haut. »Ich garantiere Ihnen«, sagte er, und seine Stimme wurde schrill, »da ist Lupus in fabula. Oder trauen Sie ihm nicht alles zu?«
    »Alles«, gestand der Stellvertreter, »aber wer den Teufel an die Wand malt, ruft ihn erst herbei.« Er überlegte, ob er Bonn anrufen solle, aber in der Bundeshauptstadt wurden die DDR-Nachrichten mitgehört und mitgeschnitten.
    Dr. Cynthia Pahl streckte den Kopf durch die Tür. »Sie sind beschäftigt, Herr Schimansky?« fragte sie.
    »Kommen Sie nur herein, Frau Doktor«, rief er ihr zu und sah, daß sie den Referenten Lamm hinter sich herzog wie ein kleiner Schlepper einen wuchtigen Flusskahn.
    Die kopflose Führungsgarnitur war komplett.
    »Wir sind mitten in einer Debatte«, konstatierte der amtierende Hausherr und berichtete über die Nachricht in Radio DDR und über die vermeintliche Überreaktion des Kollegen Wolf. »Was meinen Sie, Frau Doktor?« fragte er Cynthia.
    »Wir wissen ja seit langem, daß das Außenamt nicht dicht ist. Geheime Protokolle wurden laufend von Zeitungen in Millionenauflage veröffentlicht.«
    »Aber seit einem Zeitpunkt, da es die Mission in Ost-Berlin noch gar nicht gegeben hat«, schränkte Dr. Lamm ein.
    »Da haben Sie natürlich recht«, erwiderte Cynthia. »Aber haben Sie denn gestern tatsächlich an diese absonderliche Ypsilon-Anweisung geglaubt?« fragte sie.
    »Es blieb uns doch gar nichts anderes übrig«, entgegnete Schimansky. »Wir führen Weisungen aus – Sie übrigens auch«, tadelte er milde.
    »Darum ging es ja gar nicht«, konterte die Legationsrätin. »Vielleicht wollte Bonn eine Art Sicherheitsdienst veranstalten und hat eine Tataren-Nachricht in die Welt gesetzt, die nur wir vier, mit dem Chef natürlich fünf, kennen sollten, um festzustellen, wie lange es dauern wird, bis sie an die Normannenstraße verraten wird.«
    »Wollen Sie damit sagen«, fuhr sie der streitsüchtige Dr. Lamm an, »daß man einen von uns in Verdacht hat?«
    »Ich habe nicht behauptet, daß es so ist«, erwiderte die Diplomatin. »Nur, daß es so sein könnte.«
    »Dann wäre also der Ausbruch aus Bautzen bereits die Stasi-Reaktion«, trumpfte Wolf auf. »Und wenn diese Burschen die Gegenprobe machen, dann stellen sie eine Flucht-Posse, die sich gewaschen hat, und fahren den angeblich Entkommenen im geschlossenen Lieferwagen vor unsere Türe und dann – Gott bewahre …«
    Die Debatte endete in einem Nervensud. Jeder der Beteiligten hatte sich schon darüber Gedanken gemacht, ob der mißliche Defekt nicht im Hause selbst zu suchen sein, und diesen Verdacht weit von sich gewiesen (bis auf den einen, der ihn ausgelöst hatte – so er ausgelöst worden war).
    Es war Mittagszeit, aber statt zum Essen zu gehen, konsumierten die verwirrten Vier DDR-Nachrichten, die nichts Neues brachten.
    Auch in Bonn hatte man die Bautzen-Meldung gehört, aber übergangen. Man lobte Martin Keils Aufmerksamkeit und Einsatz für die neue Ostpolitik. Der Ehrsüchtige schluckte das Lob wie Champagner; anstatt zu merken, daß er von Anfang an offene Türen eingerannt hatte, machte den Amateurdiplomaten die eigene Gewichtigkeit beschwipst.
    Beim Mittagessen mit dem Staatssekretär und zwei weiteren AA-Spitzenbeamten, zeichnete sich endgültig ab, daß er sich voll durchsetzen konnte und Bonn in einer neuerlichen Kehrtwendung die Direktiven von gestern widerrufen würde, und so kam Martin Keils große Stunde.
    Kurz bevor ein langer Montag in Bonns Ost-Berliner Filiale endete, rief der Sicherheitsbeauftragte Schimansky die gegen ihren Namen besetzten Herren Lamm und Wolf und Dr. Cynthia Pahl in die Laube.
    »Das gibt wieder Überstunden«, brummelte Dr. Lamm gereizt.
    »Gemeinschaftsempfang«, spottete die Legationsrätin. »Der Führer spricht.«
    Die problematischen Vier saßen auf Bonns gefährlichstem Außenposten. Trotzdem rechneten sie nicht damit, daß ihre Lebensläufe zur Stunde wieder einmal von flinken Händen überprüft, die die Betroffenen vielleicht schon selbst vergessen hatten.
    »Keil«, meldete sich der Quasi-Botschafter. »Stellen Sie ruhig den Lautsprecher

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