Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
in der DDR so wenig Fleisch? – Um vom Fischmangel abzulenken.‹ Oder: ›Der Unterschied zwischen DDR und BRD? – Der Osten hat den Marx und der Westen das Kapital.‹
    Obwohl Ostdeutschland – nach der Sowjetunion – in seiner wirtschaftlichen Macht an erster Stelle steht und von allen Ostblockländern am wenigsten verschuldet ist, müssen die Bewohner sich fast immer mit irgendeinem Mangel herumschlagen. Es ist schlimm, aber übel ist ja auch der Überfluß der Wegwerfgesellschaft im Westen, die durch ständige Überproduktion über Gebühr die Umwelt ruiniert.
    Im HO-Laden in der Seitenstraße stand eine lange Menschenschlange um eben eingetroffene Tomaten an. Der Volksmund nannte so etwas ›Sozialistische Wartebrigade‹. Cynthia passierte die Humboldt-Universität und ging weiter zum kalt-pompösen Marx-Engels-Platz, in dem der Lustgarten und die Ruine des Berliner Schlosses eingebracht worden waren, damit die Monumentalarchitektur verwirklicht werden konnte. Hier ging es nicht um die Wahrung des Gestern, sondern um die Präsentation des Heute. Das Außenministerium lag dem Palast der Republik mit dem Sitz der Volksvertretung und unzähligen Konferenzsälen gegenüber, in denen geredet, gearbeitet, antichambriert und beschlossen wurde.
    Cynthia ging weiter in Richtung Alexanderplatz mit Europas zweithöchstem, weithin sichtbarem Fernsehturm. Sie nahm im Straßencafe Platz, sah wieder auf die Uhr. Sie hatte noch immer Zeit. Dann bemerkte Cynthia den Einpeitscher des Ministeriums für Außenwirtschaft, Konopka, am Nebentisch.
    Der rote Paradiesvogel und ungewöhnliche Spitzenmann lächelte und winkte ihr freundlich zu, erhob sich dann und begrüßte sie mit männlicher Reverenz. Cynthia stellte fest, daß sein Lächeln das verlebte Gesicht verjüngte; es war wie ein frischgebügeltes Hemd, das gleich wieder Falten werfen würde.
    »Darf ich einen Moment an Ihrer Seite Platz nehmen, Frau Doktor?« fragte er.
    »Ich muß leider gleich gehen«, erwiderte sie. »Aber wenn es Sie nicht kompromittiert, neben dem Klassenfeind zu sitzen, verschiebe ich es noch um eine Minute.«
    »Sie wissen doch, daß ich für Koexistenz eintrete«, entgegnete Konopka. »Außerdem hören bei einer schönen Frau die Unterschiede auf, noch dazu, wo ich manchmal nicht danach frage, ob sie noch frei ist.«
    »Bin ich«, konterte Cynthia. »Junggesellin.«
    Der volkseigene Casanova empfand das Lächeln in ihrem Gesicht durchaus als Einladung, der Anfangs-Dreißigerin näherzutreten.
    »Ich wollte Sie in diesen Tagen ohnedies aufsuchen«, sagte Cynthia. »Ich wurde gebeten, bei der nächsten Austauschaktion auf der Freilassung einiger Häftling zu bestehen, die noch in DDR-Gefängnissen einsitzen.«
    »Da überschätzen Sie mich aber erheblich«, behauptete der Günstling von General Lupus. »Damit habe ich nichts zu tun, möchte es auch gar nicht. Aber geben Sie mir mal die Namen, dann sehen wir weiter.«
    Er saß mit dem Rücken zur Straße, auf der in diesem Moment der Genosse Sabotka in seinem Trabant vorbeifuhr; Cynthia verfolgte, wie er um die Ecke bog. Sie nickte dem Mann an ihrem Tisch zu. »Besten Dank für Ihr Entgegenkommen«, sagte sie und erhob sich. »Ich denke, wir sprechen uns demnächst, Herr Konopka.«
    Er blickte ihr nach, bis sie in der schräg gegenüberliegenden Buchhandlung verschwunden war. Cynthia nahm sich ein Buch aus dem Regal, blätterte darin, schob es zurück, griff zum nächsten. Dann ging sie zu der rückwärtigen Türe, ließ die Toilette links liegen, ging um die Ecke und betrat, ohne anzuklopfen, einen kleinen Raum.
    Der Mann, er sie erwartete, erhob sich höflich; er trug einen grauen Flanellanzug und ein Lächeln, das seine Sorgen unterschlug. »Bevaujot läßt sie grüßen, Genossin Pahl«, sagte er. »Er ist sehr zufrieden mit Ihnen.« Sabotka lud sie mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. »Nervös?« fragte er dann.
    »Nervosität ist eine individuelle Reaktion«, erwiderte Bonns Legationsrätin, die in Berlin-Lichtenberg unter KLABAUTERMANN geführt wurde. »Man sollte sie sich nicht leisten, wenn es um die gemeinsame Sache geht.« In diesem Moment war sie keine junge, attraktive Frau, nach er man sich auf der Straße umsah, sondern eine militante Fanatikerin, offensichtlich eine überzeugte Kommunistin – oder eine blendende Schauspielerin.
    Sabotka, die rechte Hand des Generals, war in allem bestrebt, seinen Chef zu imitieren. Auch wenn er nur eine Kopie war – als Lupusculus

Weitere Kostenlose Bücher