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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Vorwand, die Fluchtmöglichkeiten vor Ort eruieren zu müssen, erstellte die TRASCO die Liste der Aspiranten und übergab sie dem Staatssicherheitsdienst. Viele von ihnen wurden verhaftet und wegen Vorbereitung zur Republikflucht zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Darüber erfuhr man im Westen nichts oder wenig, auf jeden Fall bedeutend weniger als über die geglückten Durchbrüche. Dressler wußte natürlich, daß er viele der Fluchtkandidaten den Stasi-Agenten ans Messer lieferte, aber er war Geschäftsmann und nicht Philanthrop; zudem gingen ihn – wie er meinte – als Ausländer diese deutschdeutschen Spezialitäten ohnedies nichts an.
    Weniger wichtige Republikflüchtlinge ließ die Normannenstraße laufen und benutzte sie – allerdings äußerst vorsichtig –, um auf diesem unverdächtigen Weg Agenten in die Bundesrepublik einzuschleusen und sie als Industriespione vorwiegend an die Schaltstellen der Wirtschaft zu bringen. Dieses Patentrezept war eine Erfindung des Genossen Konopka vom Ministerium für Außenwirtschaft.
    Mauro Dressler rief im Intercontinental an. Seine Begleiterin war wieder beim Coiffeur; es war eben der Preis für gepflegte, schulterlange Haare. Nelly schlug seine Sorgen vorübergehend in die Flucht. Er kannte sie erst seit zwei Wochen, genauso lange befriedigte ihn ein Schmerzgenuß wie selten zuvor: Sie verwirrte Männer, machte sie an, peitschte sie auf. Sie begehrten Nelly, die unerreichbar für sie blieb, während er sie hatte – und doch nicht haben konnte. Es war die abartige Befriedigung eines demobilisierten Schürzenjägers, die Rache eines Ausgeschriebenen.
    Dressler griff nach einer Zigarette, wiewohl eine eben angezündete noch im Aschenbecher lag; er spürte, daß ihm der Tag nichts schenken würde.
    Das Telefon zerriß seine Unruhe und steigerte sie. Er meldete sich hastig, ohne seinen Namen zu nennen.
    Der Anruf kam aus Zürich.
    Madeleine war in der Leitung; diesmal genoß er nicht ihre erregende, moussierende Stimme. Der Tag war mit Ärger befrachtet, und Madeleine hatte ohnedies die privaten Spielregeln gebrochen.
    Sie hielt sich nicht lange mit Formalitäten auf. »Hast du bezahlt?« fragte seine Ex-Frau. »Die Frist ist schon abgelaufen, und diese Leute aus Milano haben mit dem Schlimmsten gedroht.«
    »Sei nicht kindisch, Madeleine«, erwiderte Dressler. »Haben wir etwas zu verschenken?«
    »Natürlich haben wir nichts zu verschenken, aber …«
    »Zweihunderttausend Franken«, erwiderte er, »das ist doch …«
    »– viel Geld«, unterbrach ihn Madeleine. »Es fragt sich nur, wie hoch du dein Leben einschätzt.«
    »Verdammt hoch«, entgegnete Dressler. »Aber die bluffen doch bloß. Sie werden es nicht wagen, unser Züricher Büro ein zweites Mal zu demolieren.«
    »Ich habe Angst, daß sie künftig weit mehr demolieren werden«, versetzte Madeleine.
    »Ich nicht!« rief er mit falscher Forschheit. »Aber nie mehr werde ich mit solch einer Mafia-Bande Geschäfte machen, darauf kannst du dich verlassen.«
    Darauf verließ sich Madeleine Dressler natürlich nicht. Sie wußte, daß Mauro nach wie vor mit jedermann Geschäfte machte, der Geld hatte. Denn laut Titus, dem römischen Kaiser, stinkt Geld nicht, selbst wenn man vor Geld stinkt. Wenn man aber professionellen Gangstern nach einer Panne das Kleingedruckte eines ungeschriebenen Vertrags präsentiert, tötet es vielleicht.
    »Würdest du mir mal Erwin Forbach geben?« bat Madeleine.
    »Das würde ich gerne«, beteuerte er hämisch. »Nur ist der Mann bis jetzt noch nicht aufgetaucht.«
    »Das ist doch wohl unmöglich«, erwiderte Madeleine mehr verwundert als bestürzt.
    »Vielleicht sitzt er mit Novotny in einer Stampe und säuft sich einen an«, versetzte Dressler. »Oder er veranstaltet eine Siegesfeier bei einer kleinen Spreesprotte. Was weiß ich. Wie man sich bettet, so bumst man.«
    »Eben«, versetzte Madeleine. »Darum habe ich mich ja auch umgebettet. Sag ihm, daß ich im Büro auf seinen Anruf warte. Au revoir, Mauro.«
    Dressler legte auf; er hatte momentan andere Sorgen als den geplatzten Geldtransfer und war doch froh, in Berlin zu sein und nicht in Zürich, denn für so ungefährlich hielt er die Italiener, die ihr Geld verloren hatten, nun auch wieder nicht. Der unbedenkliche Handelsmann konnte es nicht ändern. Der aufgeflogene TRASCO-Geldkurier saß schließlich in Untersuchungshaft und würde zwei, drei Jahre aufgebrummt bekommen. Es galt als vereinbart, daß das Risiko vom

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