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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sich der einzelne verlor. Selbst wenn man das Gebäude von außen überwachte, wußte man noch lange nicht, wen der Beschattete besuchte. Auch das kleine Messingschild TRANS-COMMERCE AG verlor sich in dem Schilderwald links und rechts des Portals.
    Die Firma, die Menschen schmuggelte und Devisen verschob, unterhielt neben ihrem Hauptsitz in Zürich kleine Filialen in Berlin, Frankfurt und München, die jeweils nur aus zwei Räumen, einer Sekretärin und einem Telefon bestanden. Mehr Aufwand brauchte man nicht; es handelte sich um Rekrutierungsbüros für Reisen in Einbahnrichtung. Die Fahrtstrecke betrug oft nicht einmal 100 Kilometer, trotzdem kostete sie meistens mehr als eine komplette Umrundung des Globus. Sie konnte auch das Leben kosten.
    Immer wieder hoben sich ergreifende Schicksale aus einem erbarmungslosen Geschehen. Der Mensch war zum Spielball politischer Macht geworden, ein Findelkind des Zeitgeschehens in einem gespaltenen Land.
    Mauro Dressler hielt sich allein im TRASCO-Büro auf. Der Mann, auf den er am Spätnachmittag wartete, war noch immer nicht erschienen, und allmählich wurde der Züricher Allround-Spekulant unruhig. Er sah immer wieder auf die Uhr, fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Die Luft war abgestanden, verbraucht. Er öffnete ein Fenster, aber der Straßenlärm zwang ihn, es gleich wieder zu schließen.
    Der TRASCO-Chef fragte sich, was bei der Routineoperation auf der Transitstrecke vorgefallen sein könnte. Sie war mit seinen Partnern im Hintergrund abgesprochen gewesen wie alle anderen seit zwei Jahren. Bisher hatten sich seine Gegenspieler genauso exakt an die konspirativen Abreden gehalten wie er selbst – so mußte es auch sein in diesem heißen Gewerbe, das sich freilich für Dressler vor 25 Monaten – genau zu diesem Zeitpunkt, da er erledigt gewesen war – durch einen überraschenden Vorschlag des DDR-Staatssicherheitsdienstes erfreulich abgekühlt hatte.
    Mauro Dressler schaltete das Radio ein.
    RIAS-Berlin brachte Nachrichten.
    Kein Wort über Erwin Forbach und seinen Begleiter. Der Mann, der aussah wie ein etwas klein geratener Dompteur, der in der Manege kolossale Bestien durch Feuerreifen springen läßt, hatte es nicht anders erwartete. Zum Schluß kam noch die Nachricht, daß die DDR-Behörden dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz die Einreise verweigert hätten.
    Der Züricher schaltete kopfschüttelnd das Radio ab. Das sah ihnen ähnlich. Er mochte die Männer auf der anderen Seite nicht, obwohl er ihnen inzwischen seine lukrativsten Geschäfte – noch dazu fast ohne Risiko – verdankte. Vor gut zwei Jahren war er geschnappt worden, als er in der doppelten Wand eines Möbelwagens gleich vier Flüchtlinge auf einmal in den Westen schaffen wollte. Volkspolizei und Staatssicherheitsdienst hatten dem Mann, von dessen Unternehmen bis jetzt beinahe fünfhundert Menschen in den Westen geschleust worden waren, bis dahin seit Jahren vergeblich aufgelauert.
    Zuerst hatte es ausgesehen, als wollten sie Dressler auf der Stelle erschießen, aber das war dem Aufgeflogenen nur von der Angst suggeriert worden. Nach einem Verhör ohne Ende – manchmal drohend, häufig sachlich und mitunter beinahe kollegial – ließen sie schon bald erkennen, daß ihnen Informationen wichtiger waren als die Rache für seine verwegenen Streifzüge.
    Nach zehn Tagen hatten die Stasi-Offiziere die Marathonvernehmung mit der Bemerkung abgeschlossen, daß der überführte Fluchthelfer mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen hätte. Unberechenbar wie sie waren – oder schienen –, hatten sie Mauro Dressler dann das Angebot gemacht, in ihre Dienste zu treten.
    Er war Kaufmann und sonst nichts auf der Welt, und er hielt es für entscheidend, den drohenden Konkurs mit allen Mitteln abzuwenden. Als Schweizer Staatsbürger war er von den Bonner Freikäufen ausgeschlossen, und Bern würde für den Dorn im Auge auch nicht einen Rappen ausgeben. So war Dressler mit einer Institution groß ins Geschäft gekommen, die er nicht mochte und die seine TRASCO bislang immer wieder übertölpelt hatte. Beide Seiten profitierten; Dressler kassierte risikolos fette Fluchtprovisionen, und die Männer des Generals Lupus erfuhren rechtzeitig, welche Wissenschaftler, Ärzte, Ingenieure und andere Spezialisten und Angehörige von Intelligenzberufen mit Hilfe ihrer reichen Verwandten in den Westen flüchten wollten, und konnten danach handeln, je nach Sachlage oder Laune.
    Unter dem

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