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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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fahren jetzt zum Ostbahnhof«, erklärte er. »Hier, präg dir das ein, das Zentrum Warenhaus.« Der Wagen rollte weiter, bis wir ein Industrieviertel erreichten. »Das eingezäunte Grundstück, merk dir das ganz genau.«
    Es war laut Firmenschild das Warenlager des volkseigenen Betriebs Beton und Stahl.
    »Nur ein Mann auf dem Gelände«, fuhr George fort, »ein hässlicher Kerl mit einem Buckel und einer Zahnlücke. Der Verwalter heißt Meixner und ist der beste Mann, den wir in Ostberlin haben. Okay? Du kannst ihm voll vertrauen. Er hat Mumm, daß es dich umhaut. Nur allein muß er natürlich sein. Wenn ich von dir nichts anderes höre, treffen wir uns morgen hier bei Meixner, um zwölf Uhr.«
    »Sei pünktlich«, erwiderte ich.
    Er lächelte müde.
    »Und jetzt kommt der angenehmere Teil des Unternehmens«, erklärte George und fuhr zurück, bis der Alexanderplatz zur Fußgängerzone wurde; er stellte sein Mercedes-Cabriolet ab.
    Wir nahmen neben dem Brunnen der Völkerfreundschaft Platz.
    »Hier, siehst du, Nordostseite, neben dem Haus der Reisebüros, der zweite Block, Aufgang eins, siebter Stock, wenn du aus dem Lift kommst, drittletzte Türe links.«
    Er reichte mir einen Sicherheitsschlüssel.
    »Cynthia Pahl?«
    Er nickte. »Alles weitere erfährst du von ihr.«
    »Wie sieht sie eigentlich aus?« fragte ich.
    George stand auf und lächelte. »In dieser Hinsicht kann ich dich beruhigen«, sagte er – als käme es jetzt darauf an. »Wirklich attraktiv.« Es war nicht gerade eine präzise Personenbeschreibung, aber George hatte es eilig, und wen, außer der Eigentümerin, sollte ich sonst auch in der Wohnung antreffen?
    Ich zahlte und ging auf die Wohnwabe zu, fuhr mit dem Lift hoch, stieg im siebten Stock aus, suchte und fand das Schild CYNTHIA PAHL.
    Ich klingelte sicherheitshalber.
    Nichts rührte sich.
    Ich sperrte auf.
    Ich war ziemlich sicher, nicht aufgefallen zu sein.
    Es war ein hübsches Zweizimmer-Apartment mit Küche und Bad, für westliche Ansprüche nicht überwältigend, für östliche Weltniveau. Ich ging in das Wohnzimmer; es war geschmackvoll und unaufdringlich eingerichtet. Ich überzeugte mich, daß ich allein war und zündete mir eine Zigarette an.
    Die schlichtesten Ideen sind häufig die besten. Wenn die volkseigene Firma Horch und Guck der Legationsrätin auf den Fersen saß, würden sie ihr nur bis zur Wohnung folgen, weiter nicht.
    Ich durchsuchte das Apartment nach Wanzen: Kein Befund.
    Ich brauchte nicht lange zu warten.
    Nach einer Viertelstunde wurde die Türe aufgesperrt.
    Ich ging der mittelgroßen blonden Besucherin entgegen.
    Plötzlich hatte ich das Gefühl des Mannes, der von der obersten Plattform des World Trade Center nach unten stürzt, immer schneller, immer tiefer, dem Pflaster entgegen.
    Ich hatte Cynthia als Vanessa erkannt – und fiel und fiel.
    Mein Sturz wurde aufgehalten.
    Sie legte die Arme um meine Schultern, lehnte sich gegen mich, sah mir in die Augen. »Ich hab' solche Sehnsucht nach dir gehabt«, sagte sie leise.
    Und ich stürzte wieder – und fiel doch weich.
    Dann konnte ich mich wieder der Wirklichkeit stellen. Zunächst erinnerte ich mich, daß Vanessa von unserer Wiederbegegnung weit weniger überrumpelt worden war als ich. »Du hast gewußt, daß ich in deine Wohnung kommen würde?«
    Sie nickte.
    »Seit wann?«
    »Seit heute«, antwortete sie. »Ich habe es nicht gewußt«, verbesserte sie sich, »aber gespürt. Und auch darauf gewartet, seitdem ich wußte, daß du wieder in Europa bist.«
    Auf einmal war wieder alles wie auf der Trauminsel.
    Aber wir waren nicht auf Bali, sondern in Ostberlin, und es ging nicht um eine stürmische Zweisamkeit, sondern ums nackte Überleben.
    Wir brauchen jede Energie und jeden Gedanken und jede Minute Zeit, um die Chance zu nutzen – die vermutlich eine Falle war.
    Aber zuerst einmal hatten wir uns.
    Und dieses Glücksgefühl überwältigte vorübergehend Angst, Ungewissheit und Vernunft.

18
    Sie benahmen sich bei Tisch, als säßen sie auf einer Zeitbombe. Steve Cassidy und Peter Ritter waren über mehrere Informationskanäle mit dem Ostsektor verbunden. Sie wußten, daß George Ashton von der US-Botschaft ihren Mann ohne Aufsehen auf die andere Seite geschafft und inzwischen mit Cynthia Pahl zusammengebracht hatte. Von dem Zusammenspiel der beiden hinge es jetzt ab, ob es gelänge, einen der wichtigsten DDR-Geheimnisträger in den Westen zu schmuggeln, eine Operation, bei der sie als Voyeure allenfalls

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