Die Nacht der Schakale
heruntergespielter Spionageskandal mit unabsehbaren Folgen explodiert:
Informationen aus dem Überwachungszentrum von Cheltenham, das alle geheimdienstlichen Vorgänge speicherte und kontrollierte und auch die Auswertung der Abhörstationen in aller Welt und den offenen Austausch aller amerikanisch-britischen Untergrundaktionen vornahm, waren von einem 44jährigen Taxifahrer – er hatte zehn Jahre für Cheltenham gearbeitet – an die Sowjets verkauft worden. Die Panne erwies sich als kaum weniger peinlich als vor vielen Jahren der Verrat Kim Philbys, eines Secret-Service-Spitzenmannes, der heute in Moskaus KGB-Zentrale im Rang eines Generals für die Sowjet-Spionage arbeitet.
Ludwig Lipsky konnte, so es gelänge, ihn zum Übertritt in den Westen zu gewinnen, genauso ergiebig sein wie Geoffrey Prime, der Verräter von Cheltenham, für die andere Seite.
Sie warteten, schwiegen, rauchten und tranken Mineralwasser, während sie ergebnislos überlegten, ob Lipskys spontaner Fluchtvorsatz – sofern er überhaupt gefaßt worden sein sollte – die Nacht überdauern würde.
»Wann wollen Sie ihn herüberschaffen lassen?«
»Das muß ich den Akteuren vor Ort überlassen.«
»Und wie?« fragte der BND-Mann, obwohl er sich denken konnte, daß er keine Antwort erhielt. »Haben Sie schon eine konkrete Vorstellung, Steve?«
»Das ist zunächst einmal Leftys Problem.«
»Es ist Ihnen doch klar, daß die Stasi-Leute nach der Flucht Lipskys über Cynthia Pahl herfallen werden wie Piranhas.«
»Dagegen hab' ich einige Vorbereitungen getroffen«, versetzte Steve; er wollte keine weiteren Aufschlüsse geben, aber auch die Vertrauensbasis nicht belasten. »Wir werden die Diplomatin noch vor Lipsky herüberlotsen.« Er sah Ritters überraschtes Gesicht und setzte hinzu: »Ich weiß, daß es ein bißchen gegen die Regeln verstößt, aber ich kenne meinen Freund; er würde keinen Finger rühren, bevor Cynthia nicht in Sicherheit ist.«
»Ein aufsässiger Bursche«, erwiderte der BND-Mann, leicht nervös.
»Ich verlasse mich auf Charaktere«, entgegnete das CIA-As, »nicht auf Kreaturen.«
Die nächste Überraschung kam nicht aus Ostberlin, sondern aus der Kantstraße: Sie war hübsch, rothaarig, geschieden, kokett und, wie Linda Plaschke betonte, völlig unpolitisch. Die Informantin hatte sich nicht erst bei der ständigen Polizeidienststelle aufgehalten oder über Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst den langen Marsch durch die Institutionen angetreten, sondern war als Freundin des Genossen Kammgarn sofort an die richtige Adresse, die CIA-Filiale, gekommen.
»Mein Bekannter«, begann sie, »ist eine hochgestellte Persönlichkeit in der DDR …«
»Name?« erwiderte Ritter.
»Sachte«, antwortete die Siebenunddreißigjährige. »So schnell schießen die Preußen nicht.«
»Dann will ich Ihnen mal vorführen, wie schnell die Bayern schießen«, entgegnete der Mann aus Pullach ungewöhnlich angriffig. »Es handelt sich um Herbert Brosam.«
Linda Plaschke erschrak nicht übertrieben. »Das wissen Sie also«, sagte sie.
»Halten Sie doch bitte nicht uns für Naiv, wenn Sie es vielleicht sind«, versetzte der BND-Mann ziemlich happig.
»Wenn Sie etwas höflicher wären und mir zuhören würden«, erwiderte die kesse Berlinerin, »würde ich Ihnen sagen, wie Sie Herrn Brosam – mit meiner Hilfe – herüberholen könnten.«
»Ich denke, Sie sind unpolitisch?« schaltete sich Steve ein.
»Bin ich auch«, bestätigte Linda Plaschke sofort, »aber Herbert ist verheiratet und hat zwei Kinder. Und können Sie mir sagen, wie er die Alte loswerden soll, wenn er nicht …«
»Nicht aufregen«, sagte Peter Ritter mit einer Spur Galanterie. »Kommen Sie bitte nach nebenan. Wir wollen alles der Reihe nach durchgehen«, versprach er, mit den Gedanken ganz woanders.
Die Besucherin war, wie er wußte, tatsächlich unpolitisch.
Trotzdem ließ General Lupus grüßen.
19
Wir lagen nebeneinander, erschöpft und erfüllt. Wir hielten uns an den Händen, als wollten wir uns nie wieder loslassen. Wir spürten beide, daß wir keine blaue Nacht brauchten, keine Gamelanmusik, keinen Vollmond und keinen weichen Sandstrand, um den Boden unter den Füßen zu verlieren. Jede Zärtlichkeit warf ihr Echo zurück, jeder Wunsch fand seine Resonanz.
Der alte Gregory hatte uns hervorragend programmiert; der Teufel sollte Thomas E. Gregory holen; ich war entschlossen, ihn zu überleben. Für uns.
»Ich mußte immer wieder an dich
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