Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
denken«, sagte ich. »Ich konnte mich nur nicht richtig erinnern, wie schön du bist.«
    »Ich konnte mich immer an solche Worte erinnern«, erwiderte Vanessa. »Ich hörte nur deine Stimme nicht.«
    Wir standen in einem erbarmungslosen Wettlauf mit der Zeit; wir brauchten einen glasklaren Kopf, trotzdem wurde unser Bewußtsein von Gefühlen überschwemmt. Ein Damm war gebrochen, nichts konnte die Flut aufhalten. Mit unzeitgemäßer Schadenfreude stellte ich fest, daß wir Zauberlehrlinge waren, die dem großen Gregory über den Kopf wuchsen.
    Obwohl ich sicher war, daß in der Wohnung keine Wanzen lauerten, stellte ich das Radio lauter.
    »Du bist also nicht seine angeheiratete Nichte, Vanessa?« fragte ich.
    »Nein«, sagte sie. »Ich bin auch nicht blond, sondern dunkelhaarig. Und ich heiße auch nicht Vanessa.«
    »Für mich wirst du immer Vanessa bleiben«, versetzte ich. »Du stammst auch nicht aus Massachusetts?« fragte ich weiter.
    »Nein.«
    Ich erinnerte mich, daß wir auf der Paradiesinsel kein Wort deutsch miteinander gesprochen hatten. »Wieso sprichst du so gut englisch?« fragte ich.
    »Meine Mutter ist Engländerin«, antwortete sie. »Ich bin in London aufgewachsen.«
    »Und die Kanalinsel Jersey?«
    »Die habe ich, offen gestanden, noch nie gesehen.«
    »Und dein Mann wurde bei keiner Schießerei in Managua getötet?«
    »Ich war nie verheiratet«, antwortete Vanessa. Während sie lächelte, wirkten ihre Augen wieder kobaltblau. »Ich hatte bisher keine Zeit dafür und keine Lust darauf.«
    Als ich in Langley bei der Abfrage des Computers mich in dem Bewußtsein gesonnt hatte, den großen Gregory übertölpelt zu haben, hatte mich das alte Monster wieder einmal hereingelegt, PYTHIA falsch programmiert und mich hinterher zusätzlich noch belogen.
    »Ich zahle das dem Vice heim«, drohte ich.
    »Nicht so stürmisch«, erwiderte Vanessa. »Schließlich hat er uns ja zusammengebracht.«
    »Und auseinander gerissen«, erwiderte ich.
    »Und wieder zusammengeführt«, sagte sie.
    »Ein schöner Traum mit London«, erinnerte ich mich. »Weißt du noch; unsere abwechselnden Wochenendausflüge Bonn-London und dann wieder London-Bonn?«
    »London stimmt schon«, erwiderte Vanessa. »Ich werde demnächst dorthin ziehen.« Sie zögerte einen Moment und setzte hinzu: »Wenn ich aus dieser Sache heil herauskommen sollte, verlasse ich den Staatsdienst und arbeite künftig als freie Juristin bei der englischen Sektion von Amnesty International.« Vermutlich sah ich wenig intelligent aus in diesem Moment, und sie zitierte: »Für die weltweite Menschenrechtsorganisation, unabhängig von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien und Religionen. Für die Freilassung von Männern und Frauen, die irgendwo auf der Welt wegen ihrer Überzeugung, ihrer Hautfarbe, ihres ethnischen Ursprungs oder ihrer Religion inhaftiert sind …«
    »… vorausgesetzt, daß sie weder Gewalt angewandt noch zur Gewaltanwendung aufgerufen haben«, unterbrach ich sie.
    »Du kennst das AI-Programm?« fragte Vanessa.
    »Ich bin dafür«, antwortete ich. »Ohne jede Einschränkung. Wenn wieder einmal ein Posten frei werden sollte, werde ich mich bewerben.«
    »Einen wie dich würden sie nehmen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil ich dich auch genommen habe«, erwiderte sie schlicht. »Du mußt das verstehen, Norman, ich war furchtbar in der Klemme, ich konnte dir doch auf Bali nichts sagen. Ich wußte überhaupt nicht, auf was ich mich da eingelassen hatte.«
    »Schon gut«, entgegnete ich.
    »Außerdem hast du mich ja auch ein bißchen täuschen müssen«, stellte Vanessa fest. »Oder bist du US-Diplomat in Bonn?«
    »Moment mal«, erwiderte ich, erhob mich, ging an meine Jacke und zeigte ihr meinen Diplomatenpass.
    Er versetzte uns wieder in die Wirklichkeit, und dafür wurde es jetzt auch höchste Zeit. Noch im Laufe dieses Abends wollte Lipsky in Cynthias Wohnung auftauchen und das entscheidende Gespräch mit mir führen.
    Sie ging in die Küche, setzte Kaffeewasser auf, ich stand neben ihr und hielt meine Arme gewissermaßen gewaltsam fest. Vanessa berichtete noch einmal jede Einzelheit ihrer überraschenden Begegnung heute nachmittag im Ministerium für Außenhandel; sie erstellte dabei mit wenigen Strichen ein exaktes Phimoses-Psychogramm. Ihr Verstand und ihre Logik waren überwältigend, aber ohnedies faszinierte mich alles an Vanessa – doch es blieb jetzt keine Zeit mehr für Exaltationen.
    Ich stellte fest, daß alle Fakten

Weitere Kostenlose Bücher