Die Nacht der Uebergaenge
die Aussicht, die man über den Hügeln von Songshan
hat!“, flüsterte eine leise Stimme hinter ihr, die Nico aufsehen ließ, wo ein
dunkler Schatten sich hinter ihr aufgebaut hatte, der sie in Höhe und Breite
locker überragte.
Sie drehte sich langsam um und zog die Brille ab, weil er im
Gegenlicht stand und sie den Fremden sonst nicht richtig erkennen konnte. Er
war ein sehr hoch gewachsener Asiate, etwas über einen Meter achtzig, mit
breiten Schultern und einem fein geschnittenen Gesicht, das teilweise durch
eine dunkle Sonnenbrille verdeckt war. Er trug ein traditionelles, schwarzes
Hemd über dunklen Stoffhosen, das er in der Taille mit einem Stoffgürtel
betonte. Nico stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass er kein Geist war, wie
sie zuerst befürchtet hatte.
„Es sieht wunderschön aus! Ich würde es gern mit eigenen
Augen sehen!“, antwortete sie mit einem zögerlichen Lächeln, das er nicht
erwiderte.
„Mit dieser Trauer in Ihren Augen würde es wohl ein
schmerzlicher Anblick werden!“
Er hob die Hand und strich mit der Spitze seines Zeigefingers
über ihren Kieferknochen entlang, ohne dabei aufdringlich zu wirken.
„Dort werden die eigenen Gefühle bis zur Unerträglichkeit
verstärkt, wenn man wie wir ein Gefäß ist, das Schwingungen empfangen kann!“
Nico sah erstaunt mit leicht geöffnetem Mund zu ihm auf, weil
er irgendwie erraten hatte, dass sie ein Medium war. Zufall?
„Dann… sollte ich mit der Reise dahin noch etwas warten…“, hauchte Nico und
versuchte, in dem Mann zu lesen, dessen Nähe beruhigende Wärme verströmte.
Allerdings konnte sie seine Augen nicht sehen und der Rest seines Gesichtes
schien unbewegt.
„Möchten Sie vielleicht mit hinein kommen? Ich könnte uns
einen Tee kochen und Ihnen das Bild erklären, das Ihnen so gefallen hat!“,
schlug er zu ihrer Überraschung vor.
Der Mann zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und hob
ihn mit einem leisen Klimpern an, so dass sie blinzelte, weil sie immer noch
nicht schlüssig war, was sie von ihm halten sollte.
Da neigte er den Kopf und deutete eine Verbeugung an, bevor er sie stehen ließ,
um den Schlüssel in das Schloss der unscheinbaren Tür zu stecken. Der feine
Klang eines Glockenspiels verriet ihr, dass er die Tür aufgedrückt hatte.
„Mein Name ist Cong Shé Zhao, der Ladeninhaber ist mein
Vermieter und zugleich mein Agent. Er vertreibt meine Kunst und ich übernehme
ab und an das Hüten des Ladens, wenn er nicht in der Stadt ist… Sie spüren doch
bestimmt, dass ich nicht gefährlich bin, oder?“
Nico wurde magisch von seiner Stimme angezogen, als wäre er
der Rattenfänger von Hameln und sie ein von ihm verzaubertes Kind, so dass sie
ihm einfach hinein folgte. Die Schummrigkeit des Ladens war eine Wohltat für
ihre Augen und die Atmosphäre war einladend und friedvoll. Es herrschten
asiatisch klare Linien, die den Laden von der bunten Üppigkeit, die sonst in
China Town herrschte, abgrenzte.
Er drückte die Tür mit einem erneuten Klingeln ins Schloss
und Nico streckte ihm die Hand entgegen.
„Ich heiße Nicolasa D’ Amores… Aber man nennt mich einfach
Nico!“, stellte sie sich vor.
Er umschloss ihre Hand mit sicherem Griff, weder zu fest noch
zu locker und neigte wieder den Kopf.
„Nico… Dann bitte ich darum, King genannt zu werden! Ich habe den Spitznamen
bekommen, bevor ich wusste, was er in der englischen Sprache bedeutet! Bitte…
Sieh dich nur um, ich bereite derweil den Tee. Die Tür ist nicht verschlossen,
aber das Schild „closed“ hängt noch da, so werden wir bestimmt nicht gestört
werden!“
Nico ertappte sich schon wieder dabei, ein kleines Lächeln
zeigen zu können, weil sie gerade darauf gekommen war, warum er King genannt
worden war. King Kong und die Weiße Frau … Zumindest ihre Hautfarbe
stimmte.
Außerdem sorgte er dafür, dass sie sich nicht eingesperrt vorkam, da er ihr
einen Weg zur Flucht aufzeigte. Er ließ sie beinahe eine Viertelstunde alleine
und sie nutzte die Zeit, um sich einzelne Gegenstände und Bilder genau
anzusehen. Die meisten Sachen waren nicht ausgepreist, so dass ihr klar wurde,
dass es sich um wertvolle Sammlerstücke handeln musste, die sie sich niemals
leisten könnte. Aber es erfüllte sie mit stiller Freude, sie einfach bewundern
zu dürfen.
Sie spürte mehr, denn sie hörte, dass er zurückgekommen war,
weil er einen beinahe unhörbaren Schritt hatte. Er stellte ein Tablett auf
einem niedrigen, schwarz lackierten Tisch ab, um den
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