Die Nacht der Uebergaenge
Die Welt um sie herum schien mit einem Mal stillzustehen und der Spaß
auf der Tanzfläche meilenweit weg. Ihr war nicht mehr einfach nur warm sondern
siedend heiß. Ihre Haut prickelte, als würden Ameisen darunter krabbeln und
ganz schwach nahm sie an sich den bitteren Geruch wahr, den sie unter allen
Umständen zurückhalten musste, damit ihr Gegenüber ja nicht den falschen
Eindruck bekam. Immerhin war er ein Freund ihres Vaters und ihre Reaktion, die
derjenigen ähnelte, die sie ihm schon auf der Noctis Transitus vollkommen
unpassend präsentiert hatte, wiederholt unverschämt. Sie vergaß sogar, ihn für
eine Tri’Ora angemessen mit einer Verbeugung zu begrüßen, erwiderte einfach nur
ziemlich zurückhaltend das ungewohnt freundliche Lächeln, welches er ihr
entgegenbrachte und nahm mit einer mechanischen Bewegung den Cocktail entgegen,
wobei sie zur eigenen Ablenkung den Blick des Barkeepers suchte, der aber
leider gerade anderweitig beschäftigt war. Somit konnte sie für diese
Aufmerksamkeit nur dem Spender selbst danken.
„Das ist sehr nett von dir“, brachte sie leicht schwach in
den Knien hervor und probierte höflichkeitshalber einen Schluck, obwohl ihr
ihre Kehle wie zugeschnürt vorkam. Das eisige Blau seiner Augen ging ihr durch
und durch. Nicht unangenehm, aber auch nicht so, dass sie sich genauso wohl
fühlte wie eben noch auf der Tanzfläche. Sein Verhalten machte sie
misstrauisch. Er hatte ihr nie großartig Beachtung geschenkt, geschweige denn
den Eindruck erweckt, er würde einen Gedanken daran verschwenden, ob ihr etwas
schmecken könnte oder nicht. Er war nicht der fürsorgliche Typ, dessen
Andeutung er gerade versuchte. Das machte ihr nichts und deshalb war sein
Auftreten für sie umso verwunderlicher.
Allerdings kam sie nicht dazu, ihre Tri’Ora-Fähigkeiten auszuspielen. Im
Gegenteil, sie musste erst einmal selbst runter kommen. Sie hatte das Gefühl,
gleich wieder aus irgendeinem Grund explodieren zu müssen. Sie kämpfte mit dem
plötzlich erwachten Dämon in ihrem Inneren, bemühte sich um einen nicht allzu
gequälten Gesichtsausdruck und darum, nicht schon wieder überstürzt die Flucht
zu ergreifen, die sie beim letzten Mal angetreten war.
Sie nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas. Diesmal stieß
der Strohhalm auf dem Grund auf Widerstand und sie durchbohrte etwas, das dem
Cocktail die vom Barkeeper beschriebene besondere Note gab und nicht einfach
nur pink sein ließ.
Pfefferminz.
Wendys Augen wurden groß. Fast hätte sie sich verschluckt und zu allem Übel
gehustet. Nun roch es wirklich nach Zitronengras um sie herum. Das war so
peinlich. Ash wusste schließlich weder von dem Tiger in ihren Träumen, noch von
der minzigen Meeresbrise, die diesen jedes Mal begleitete. Ihr wurde ganz
anders, in ihrem Kopf drehte sich gerade alles und die kleinen Ameisen unter
ihrer Haut hatten sich soeben in einen Haufen Schmetterlinge verwandelt, die in
ihrer Magengrube aufflogen.
„Wirklich gut!“ Es klang nicht annähernd überzeugend und
eigentlich hätte sie gern „ Oh mein Gott!“ gesagt. Sie schielte nach oben
in Richtung des VIP-Bereichs und darauf, ob eine der anderen in der Nähe war,
die sie aus ihrer blöden Situation retten konnten. Doch von Romana und Catalina
war weit und breit nichts zu sehen.
Awendela kam sich ausgeliefert vor. Sie musste sich unbedingt
beruhigen. Der Cocktail half da ganz bestimmt nicht weiter.
Er sah sie an, als würde er sie durchschauen. Genau wissen, was sie dachte. Oh
Gott!
Wendy klammerte sich an das Glas und konnte nicht anders, als zurückzustarren.
Das Blau seiner Augen war eigentlich ziemlich faszinierend. Die Farbe des
Meeres, von dem sie immer träumte.
Blau...so wunderbar blau...
Ein Blau, das sie nicht nur aus ihrem Traum kannte. Sie war schon einmal so
angesehen worden. Vor langer Zeit. Wann?
Es fiel ihr nicht ein. Aus früheren Begegnungen vielleicht, aber da hatte sie
ihm eigentlich nie viel Beachtung geschenkt und umgekehrt genauso. Das würde
sich nicht plötzlich ändern, nur weil sie im selben Gebäude wohnten.
Ihr Herz raste ebenfalls, schlug bis zum Hals und hätte die
Musik im Club nicht im nächsten Augenblick umgeschwenkt, wäre sie
wahrscheinlich gegen ihn gestolpert ,weil sie sich wie hypnotisiert fühlte und
ihr inneres Gleichgewicht aus dem Ruder geraten schien. Sie musste hier weg.
Seine Nähe war aus irgendeinem Grund zu viel für sie und der Cocktail nicht gut
für ihre Nerven. Sie hatte schon zu viel Alkohol
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