Die Nacht der Uebergaenge

Mädchen zu
verprügeln, sollten sie sich lieber um ihre verletzte Seele kümmern! King
verspürte einen leichten Anflug von Wut gegenüber dem Mann, der sie so mit
Füßen trat. Hinter seinen dunklen Gläsern blitzten seine milchigen Augen empört
auf. Sie waren nicht unsterblich, auch wenn man diesen Eindruck
erhalten konnte …
    Nico war
so unglaublich zart gebaut, darauf musste man Rücksicht nehmen, wenn man sie
schon dem körperlichen Drill eines harten Trainings unterzog. Sie würde
irgendwann viel stärker sein, doch im Moment war sie nicht viel kräftiger als
ein Kind. King behandelte die Stellen vorsichtig, während er sozusagen ein
Inventar ihres Körpers machte, ohne dabei jedoch ihre Attraktivität im Auge zu
haben. Er bildete sich ein Urteil als Lehrmeister, der einen neuen Schüler nach
seinen Fähigkeiten einschätzte.
     
    Nico lag
auf den bequemen Kissen ausgestreckt, die Beine auf einem weiteren Kissen
hochgelegt, da King auch die Innenseite ihrer Schenkel auf blaue Flecken
untersucht hatte. Dazu hatte sie nur den leichten Sommerrock nach oben schieben
müssen. Er hatte ihr genau gezeigt, wo sie die Salbe auftragen sollte, weil er
ihr nicht zu nahe treten wollte, aber das hatte schon ein anderer getan und sie
hätte Kings Hilfe bestimmt nicht falsch verstanden. Es ehrte ihn dennoch, dass
er so viel Rücksicht wie möglich auf sie nehmen wollte.
    „Wie
lange hast du gebraucht, bis du dieses Maß an Körperbeherrschung erreicht
hast?“, fragte sie, nachdem sie ihm einige Zeit mit fassungsloser Bewunderung
zugesehen hatte, wie er mit einem Schwert in der Hand gegen einen imaginären
Gegner kämpfte. Sie hatte ihn dazu aufgefordert, nicht weiter auf sie zu
achten, weil sie ihn nicht von seinem Training abbringen wollte.
    King
drehte sich zu ihr um, nachdem er die stille Übung beendet hatte. Er warf ihr
ein geheimnisvolles Lächeln zu.
    „Ich
begann schon im Alter von vier Jahren mit dem Training des Kung Fu… Das Kloster
von Songshan ist eine berühmte Schule, die schon große Kämpfer hervorgebracht
hat. Mit zwölf war ich selbst Großmeister und habe die Jüngeren unterrichtet.
Man sagt, das Lernen dauert ein Leben lang…“
    Nico
seufzte bekümmert und sah dann wieder hinauf an die Decke, wo ein
orangefarbener Lampion hing, der mit chinesischen Schriftzeichen geschmückt war
und ein anheimelndes Licht verströmte.
King tat es schon sein Leben lang und die Krieger sowieso. Wie sollte sie da
jemals die Zeit aufholen, die ihr unwissentlich zwischen den Fingern zerronnen
war?
Als Kings Gesicht plötzlich über ihr auftauchte blinzelte sie überrascht. Sie
hatte ihn nicht kommen hören, als würde er über dem Boden schweben können.
    „Erzähl
mir, was du tust, um deinen Körper gesund zu halten, Nico. Du darfst dich
einfach nicht mit mir vergleichen, aber dabei deine eigenen Stärken nicht
übersehen. Kraft allein ist nicht alles! Deine Muskeln sind nicht aufgepumpt,
sie sind lang und sehnig, Du siehst sehr gelenkig aus. Das gibt dir
Schnelligkeit. Ich wollte dich mit meinen Referenzen nicht abschrecken, es ging
nur darum, dir zu beweisen, dass ich das Recht habe, Schüler in meiner
Kampfkunst zu unterrichten“, sprach er sanft auf sie ein.
    Nico
erklärte ihm, dass sie in jungen Jahren die Selbstverteidigung mit dem Messer
gelernt hatte, weil diese Waffe zur Grundausstattung einer Santera gehörte.
„Mélusina ist mein Schutzgeist, King… Sie konnte mir natürlich Bewegungsabläufe
zeigen, aber sie ist kein Gegner aus Fleisch und Blut, sie abzuwehren, tat
nicht weh…“
     
    King
setzte sich mit überkreuzten Beinen neben sie auf den Boden und lauschte ihr
aufmerksam. Die Erwähnung des Geistes hinterfragte er nicht. Er hatte sie sogar
gesehen oder vielmehr die Veränderung der Atmosphäre, die ihre Anwesenheit
verursachte. Er war mit einem breiten spirituellen Wissen groß geworden und
glaubte Nico jedes Wort. Sie war eben wie er mit besonderen Fähigkeiten
gesegnet.
    „Meditation
ist sehr gut und Yoga genauso. Das stärkt die Muskeln und zentriert deinen
Geist, ich tue das auch. Zen-Meditation, sie reinigt die Seele und macht sie
frei, bevor man in den Kampf zieht oder danach. Das ist schon etwas, das du
nicht lernen musst. Du beherrscht deinen Körper und dadurch wirst du dir Neues
viel leichter zu eigen machen. Natürlich lassen sich Schmerzen nicht vermeiden,
aber sie sollten langsam gesteigert werden, damit dein Körper sich daran
gewöhnen kann. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt,