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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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noch größerer Dreckskerl, als ich gedacht hatte. Man muss schon tief gesunken sein, wenn man sich an einem unschuldigen Indianermädchen vergreift.« Vor lauter Wut spürte sie die Kälte kaum. »Im alten England hätte man ihn einen Kopf kürzer gemacht … ohne Prozess!«
    »Und hier würde man ihn aufhängen, wenn man ihn endlich wieder erwischen würde«, erwiderte Clarissa. »Der reiche Mistkerl war es gewöhnt, dass man ihm alle Schweinereien durchgehen ließ. Wer weiß, wie viele Hausmädchen der schon belästigt hatte, als er sich an mich ranmachte. Mit den Millionen seines Vaters ließ sich vieles geraderücken. Aber damit ist jetzt Schluss. Der Vater steht vor Gericht, und allein der Mord an dem Kassierer, den die anderen Angestellten bezeugen können, reicht für eine Verurteilung aus. Ich frage mich, warum die Armee nicht mehr gegen ihn unternimmt.«
    Dolly schwieg eine Weile. »Wir müssen vorsichtig sein. Am besten steigen wir unter fremden Namen in einem Hotel ab. Wenn der Kerl nur den leisesten Verdacht hegt, dass du in Nome bist, sucht er die ganze Stadt nach dir ab.«
    Sie erreichten Nome gegen Mittag. Zuerst nahmen sie die Stadt nur als dunklen Schatten in der Ferne wahr, doch je näher sie ihr kamen, desto deutlicher hob sie sich gegen den Schnee und das Eis in der Umgebung ab. Der helle Streifen am östlichen Horizont warf ein gespenstisches Licht auf die riesige Ansammlung von Holzhäusern, Baracken und Zelten, die sich scheinbar endlos an der Küste entlangzogen und sich erst in weiter Ferne im Nebel und der Dunkelheit verloren. Auf dem gefrorenen Meer und der Tundra spiegelten sich helle Flecken, das einzige Tageslicht, das Nome um diese Zeit erhellte.
    Clarissa drosselte das Tempo und lenkte die Hunde in die Stadt. Zwischen Hundeschlitten, die vor den ersten Häusern im Schnee lagen, und begleitet vom Gejaule und Gebell unzähliger Huskys, fuhren sie auf die Front Street, die viel zu schmale Hauptstraße der Goldgräberstadt. Fassungslos und vom ersten Eindruck wie erschlagen, bahnten sie sich einen Weg durch das Gedränge, das selbst den hektischen Betrieb in Skaguay und Dawson City während des Klondike-Goldrausches noch übertraf. Missgelaunte Kutscher lenkten fluchend ihre Fuhrwerke durch den Schnee, laut schimpfende Männer bahnten sich mit ihren Hundeschlitten einen Weg. Auf den Planken, die auch hier die Gehsteige ersetzten, drängten sich meist Männer, die aus den Staaten kamen und die langen dunklen Winter des Hohen Nordens nicht gewohnt waren. Sie spülten sich den Frust mit Whiskey und Bier von der Seele und warteten hoffnungsvoll auf das Ende des langen Winters, das sicher noch drei, vier Monate auf sich warten ließ.
    Vor den Saloons und anderen zweifelhaften Etablissements überboten sich die Ausrufer mit »sensationellen Angeboten, zu denen man einfach nicht nein sagen konnte«, und vor einem der Bordelle räkelte sich eine besonders dralle Dame in spärlicher Kleidung neben einem bullernden Ofen. Lüsterne Männer standen um sie herum, leckten sich die Lippen und zählten wohl in Gedanken ihre Dollar. Nur die wenigsten Goldgräber in Nome waren reich geworden, den Reibach machten wie in jeder Boomtown die Händler und Lokalbesitzer. Nach dem Goldrausch würde sich ein Chinese rühmen, mehr Geld mit seiner Wäscherei als die meisten Goldsucher gemacht zu haben, wenn die Kunde von den Goldklumpen, die wie Kieselsteine am Strand lagen, auch nicht aus der Luft gegriffen war. Es gab tatsächlich Männer, die sich durch mehrmaliges Bücken ein Vermögen verdient hatten. In den meisten Berichten fehlte allerdings der Zusatz, dass man diese Männer an einer Hand abzählen konnte.
    Clarissa bremste vor einem zweistöckigen Giebelhaus, über dessen Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift »Emmy’s Boarding House« hing, und parkte den Schlitten in dem abgezäunten Hof, der es vom benachbarten Drugstore trennte. Als eines der Fenster aufging, und sich eine ältere Frau mit einem Strohhut herausbeugte, fragte Clarissa nach einem Zimmer und bekam als Antwort ein zufriedenes Grinsen zu sehen. »Sie kommen gerade recht«, rief sie, »die beiden Männer, die bisher in der Zehn gewohnt haben, hab ich heute Morgen rausgeschmissen. Ein Mal übergeben lasse ich mir ja noch gefallen, aber zwei Mal war mir zu viel!« Sie lachte. »Kommen Sie, und bringen Sie Ihren Vorratssack mit. Hier in der Stadt klauen sie wie die Raben.«
    »Nicht, solange Emmett in der Nähe ist«, erwiderte Clarissa.

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