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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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weiße Goldsucher und Fallensteller in unser Land brachten. Diese weiße Frau …« Er blickte über die Pfeife hinweg auf Betty-Sue. »… diese Frau ist anders. Obwohl sie aus einer großen Stadt in den Staaten kommt und erst seit ein paar Tagen bei uns in Alaska ist, folgten sie und die Frau des Fallenstellers, die uns schon seit einigen Jahren wohlgesinnt ist, dem schmalen Pfad in unser Dorf und halfen dem jungen Mädchen, das von einer Kugel niedergestreckt wurde.«
    Er rauchte wieder und reichte die Pfeife an Betty-Sue weiter. Die Schwester, die sich einigermaßen von der Anstrengung erholt hatte, hielt sie ein wenig umständlich und wusste nicht so recht, was sie damit anfangen sollte.
    »Seien Sie vorsichtig, wenn Sie noch nie geraucht haben«, flüsterte ihr Clarissa ins Ohr, »das Zeug ist sehr scharf. Aber lassen Sie sich nichts anmerken, sonst ist der Häuptling vielleicht beleidigt. Paffen Sie nur dran. Machen Sie alles so wie er, zum Himmel, zur Erde und in die vier Richtungen.«
    Betty-Sue hielt sich wacker. Schon beim ersten Zug bekam sie einen Hustenanfall, trank dankbar von dem Tee, den ihr jemand reichte, und fuhr mit der Zeremonie fort. »Und ich danke dem Häuptling dieses Stammes, dass ich so freundlich empfangen wurde und Louise noch so rechtzeitig behandeln durfte, dass sie leben wird.« Sie hustete wieder und reichte die Pfeife rasch an ihren Nachbarn weiter. Die Indianer amüsierten sich köstlich und grinsten verstohlen, als Clarissa ihr mit der flachen Hand auf den Rücken klopfte.
    Clarissa ließ sich ihre Ungeduld nicht anmerken und plauderte geduldig über das Wetter und die Jagdbeute, die sie während der letzten Monate gemacht hatten. Sie räusperte sich mehrmals, bevor sie endlich die entscheidende Frage stellte: »Hat Louise gesagt, wer auf sie geschossen hat? Der Marshal sucht mit einem Aufgebot nach drei gefährlichen Bankräubern. Sie sollen nach Norden geflohen sein. Einer der Männer könnte der Schütze sein.«
    Der Häuptling hatte noch nicht von den flüchtigen Bankräubern gehört und dachte lange über ihre Worte nach. Nachdem die Pfeife wieder bei ihm angekommen war, zog er noch einmal daran und wiegte nachdenklich den Kopf. »Louise hat nichts gesagt. Vielleicht spricht sie morgen früh, wenn sie sich von ihrer Verletzung erholt hat.« Er klopfte die Pfeife aus und erhob sich. »Und jetzt wollen wir schlafen gehen. Dies war eine anstrengende Nacht, und uns bleiben nur noch wenige Stunden, um uns davon zu erholen. Henry Eagle wird Ihnen zeigen, wo Sie schlafen können. Gute Nacht, meine Schwestern.«
    »Gute Nacht, Häuptling«, erwiderte Clarissa, obwohl sie ihre Ungeduld kaum bezähmen konnte und das Mädchen am liebsten sofort nach Frank Whittler gefragt hätte. Aber solange sie nicht wusste, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lag, hatte es keinen Zweck, etwas zu unternehmen. Morgen, dachte sie, morgen früh werden wir wissen, wer auf Louise geschossen hat.

6
    Clarissa verbrachte die Nacht im Halbschlaf. In ihren Träumen jagten sich dunkle Gedanken, und sie stöhnte vor Entsetzen, wenn sie Frank Whittler wie einen Racheengel zwischen den Bäumen hervortreten und auf Louise schießen sah. Der Schütze beobachtete ungerührt, wie das Mädchen von der Wucht der Kugel in den Schnee gestoßen wurde, sich mehrmals überschlug und reglos liegen blieb, steckte seine Waffe hinter den Gürtel und verschwand in dem wabernden Nebel, der wie eine bedrohliche Wolke durch den Wald zog.
    Mit dem Knall des Schusses, den sie in dieser Nacht mehrmals hörte, schreckte sie jedes Mal aus dem Schlaf und blickte verstört ins Leere. Sie schliefen auf ausgeleierten Matratzen im Wohnraum, gleich neben dem Ofen, der die ganze Nacht hindurch brannte. Häuptling Dan Short Hand, der mit seiner Frau und den Eltern des Mädchens hinter dem Vorhang schlief, legte mehrmals Holz nach und blieb längere Zeit neben dem Ofen stehen und hielt seine Hände in die aufsteigende Wärme, bevor er zu seinem Nachtlager zurückkehrte. Niemand im Blockhaus schlief in dieser Nacht besonders gut.
    Betty-Sue sah regelmäßig nach dem verletzten Mädchen. Wenn Clarissa aufwachte, beobachtete sie, wie die Krankenschwester auf Strümpfen in den Schlafraum lief und sich über ihre Patientin beugte, ihre Stirn berührte und ihren Puls abhorchte und einigermaßen zufrieden wieder in den Wohnraum zurückkehrte. »Es geht ihr schon besser«, sagte Betty-Sue, als sich ihre Blicke im rötlichen Schein der Ofenglut trafen.

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