Die Nacht der Wölfe
»Aber da saßen drei Männer … drei Weiße … böse Männer, die mich nicht leiden konnten. Einer hob sein Gewehr und schoss … Dann habe ich nichts mehr gehört …«
Clarissa sah ein, dass sie das Mädchen nicht länger quälen durfte, und bedankte sich bei ihr. Mit grimmiger Miene drehte sie sich zu dem Häuptling um. »Frank Whittler, Charlie Whipple und Hank Morgan, die Bande, nach der US Deputy Marshal Chester Novak und seine Männer suchen. Mein Mann ist auch beim Aufgebot. Frank Whittler ist der niederträchtigste und gemeinste Mann, den ich kenne. Er hätte beinahe mein Leben zerstört, und ich bin mir fast sicher, dass er auf Louise geschossen hat. Diesem Mann muss endlich das Handwerk gelegt werden. Er gehört für alle Zeiten hinter Gitter!«
Ihre Stimme war immer lauter und vorwurfsvoller geworden und erschreckte den Häuptling, der nicht wissen konnte, wie groß der Zorn war, der sich gegen Frank Whittler in ihr angesammelt hatte. Selbst eine lebenslange Gefängnisstrafe oder der Tod durch den Strang waren eine zu gnädige Strafe für den arroganten Millionärssohn, der jahrelang geglaubt hatte, sich die Welt mit dem Geld seines Vaters untertan machen und von ihm abhängige Frauen nach Herzenslust küssen und vergewaltigen zu können. Und damit nicht genug, seit der Pleite seiner Familie versuchte er sich mit Gewalt zu holen, was ihm seiner Meinung nach zustand.
»Wo haben Sie Louise gefunden?«, fragte Clarissa ungeduldig.
Der Häuptling blickte sie schweigend an und schien noch einmal zu durchleben, wie er das blutende Mädchen auf einen Schlitten gelegt und ins Dorf zurückgefahren hatte. Selbst im schwachen Licht sah man die Traurigkeit in seinen Augen. »Am Rand einer Senke, eine Viertelmeile östlich von hier. Die Verbrecher dachten wohl, sie würde verbluten. Aber der Schöpfer wollte nicht, dass sie starb.« Seine Gestalt straffte sich, und die Traurigkeit wich einer finsteren Entschlossenheit. »Aber er wird seiner Strafe nicht entgehen! Der Marshal und seine Männer werden ihn festnehmen. Der Fährtensucher, der ihnen hilft, die Spuren der Bande zu finden, gehört zu meinem Clan. Ich kenne keinen Mann, der besser Spuren lesen kann. Er findet die Verbrecher.«
Nach einem hastigen Frühstück aus heißem Tee und einigen Biskuits brachen Clarissa und Betty-Sue auf. Sie winkten den Indianern zum Abschied zu und fuhren auf den Trail nach Osten. Über den Hügeln war der erste helle Schimmer am Himmel zu erkennen und tauchte die verschneiten Hänge in fahles Licht. Die Laubbäume zeichneten sich mit ihren kahlen Ästen wie Scherenschnitte gegen den Schnee ab. Aus einem Gestrüpp am Ufer des Baches stoben einige Raben und flogen ängstlich davon. Ein Fuchs reckte seine Schnauze aus dem Unterholz und verschwand sofort wieder.
Die winterliche Ruhe vermochte Clarissa nicht zu beruhigen. Aufgebracht durch die feigen Schüsse auf das Mädchen und die bedrohliche Nähe der Whittler-Bande, trieb sie die Huskys durch die Senke und die Hügel hinauf. Auf der Steigung sprang sie vom Trittbrett und schob den Schlitten an, als wären sie im Tiefschnee gelandet und sie müsste mit aller Macht versuchen, auf den Trail zurückzukehren. Obwohl die Hunde ausgeruht waren und sich einigermaßen ins Zeug legten, war ihr die Fahrt zu langsam. »Heya! Heya!«, trieb sie das Gespann mit heiseren Schreien an, sehr zu Verwunderung ihrer Begleiterin, die sich erschrocken nach ihr umdrehte und nicht verstand, warum sie es plötzlich so eilig hatte. Betty-Sue musste sich mit beiden Händen am Schlitten festhalten, so hektisch und ungestüm war die Fahrt plötzlich.
Auf dem Hügelkamm blies ihnen der böige Wind ins Gesicht, und selbst die Hunde wurden für einen Augenblick unsicher und verharrten, aber Clarissa trieb sie unbarmherzig an. Noch vor der Kreuzung in dem weiten Tal, das sich vor ihnen ausbreitete, jagte sie das Gespann in den Tiefschnee, um abzukürzen, sprang wieder vom Trittbrett und schob den Schlitten nach Nordwesten, direkt in den stürmischen Wind hinein. Mit lauten Schreien feuerte sie die Hunde an. Eisige Schneeschauer wehten ihnen entgegen und ließen sie immer langsamer werden, machten die Abkürzung sinnlos, weil sie keine Zeit gewannen, eher noch verloren und den Trail nach Nordwesten auch nicht früher erreichten, als wenn sie an der Kreuzung abgebogen wären.
Vor ihnen erstreckte sich dichter Wald. Mächtige Fichten erhoben sich in die düstere Luft, dazwischen kahle Birken und Erlen und
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