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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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»Das Fieber geht allmählich zurück.«
    Wie alle anderen wachte auch Clarissa am nächsten Morgen früh auf. Sie beließ es bei einer Katzenwäsche in der Schüssel, die einer der Indianer für sie bereitgestellt hatte, und ging in den Schlafraum, wo bereits alle Verwandten um das Bett der Patientin herumstanden. Die Erleichterung war groß, als Louise die Augen öffnete. Sie blickte mit geweiteten Pupillen auf die vielen Menschen, die auf sie herabsahen, und schwieg beharrlich. Der Anblick schien sie zu verstören. Erst nach einer ganzen Weile ließ sie ihren Blick über jeden Einzelnen wandern, bis sie endlich ihre Eltern entdeckte. Ein vorsichtiges Lächeln ließ erkennen, dass sie bereits auf dem Weg der Besserung war.
    Betty-Sue näherte sich ihr vorsichtig. Sie wusste, wie man mit Patienten umgehen musste, die etwas Schlimmes erlebt hatten und vielleicht noch unter Schock standen.
    »Na, was habe ich gesagt?«, sagte sie, während sie Louise einen frischen Verband anlegte. »Jetzt hast du es beinahe überstanden. Die nächsten Tage wird es noch ein bisschen wehtun, aber bald darfst du aufstehen, und dann ist alles wieder wie früher. Immer brav die Medizin schlucken, hörst du?« Sie nahm eine Dose mit Schmerzpulver aus ihrer Arzttasche und reichte sie der Mutter. »Geben Sie ihr jeden Tag ein wenig davon in den Tee, und sorgen Sie dafür, dass sie nicht zu früh aufsteht. Etwas Bettruhe braucht sie noch. Die Wunde darf auf keinen Fall aufbrechen und sich entzünden.«
    Die Mutter des Mädchens versprach es und bedankte sich mit Tränen in den Augen bei der Schwester. »Vielen Dank, Schwester Betty-Sue! Das werden wir Ihnen nie vergessen.« Sie rief ihren Mann mit einem Kopfnicken herbei. »Leider haben wir kein Geld oder Gold, das wir Ihnen geben könnten, aber wir möchten Ihnen dieses Biberfell schenken.« Ihr Mann überreichte Betty-Sue ein goldbraun glänzendes Fell, so weich und sanft, dass es ihr fast von den Händen rutschte. Sie kannte sich mit Fellen wenig aus, ahnte aber, dass es sehr wertvoll sein musste. »Sie haben unserer Tochter das Leben gerettet, Schwester. So gut war noch keine weiße Frau zu uns. Der Schöpfer muss an Louise gedacht haben, als er beschloss, Sie hierher zu schicken.«
    Betty-Sue wurde verlegen und wusste nicht, wie sie auf das ungewohnte Geschenk reagieren sollte. In San Francisco hatten sich Patienten mit Süßigkeiten oder Blumen bedankt, wenn sie mit der Behandlung besonders zufrieden waren, und einmal hatte ihr eine ältere Dame einen Zinnkrug geschenkt, aber ein Biberfell hatte sie noch nie bekommen. Sie strich mit der flachen Hand über das Fell und wunderte sich, wie angenehm die Berührung war. »Vielen Dank«, sagte sie. »Ich freue mich, dass ich Louise helfen konnte. Aber das hätte jede andere Krankenschwester auch getan. Es ist unsere Pflicht. Wir haben einen Eid geschworen, allen Menschen in Not zu helfen.«
    »Nicht alle weißen Ärzte und Schwestern halten sich an diesen Eid, wenn es um Indianer geht«, erklärte der Häuptling. »Ich kenne einen Arzt, der überhaupt keine Indianer behandelt. Sie machen keinen Unterschied zwischen Indianern und Weißen. Sie haben Louise versorgt, als wäre sie Ihre Tochter.«
    Betty-Sue strich ihr über den Kopf. »Sie ist ein liebes Mädchen.«
    »Und sie kann uns vielleicht helfen, den Verbrecher zu finden, der auf sie geschossen hat.« Clarissa trat neben das Bett und wechselte einen vorsichtigen Blick mit dem Häuptling, bevor sie sich an das Mädchen wandte. Dan Short Hand deutete ein Nicken an. »Guten Morgen, Louise! Du siehst schon viel besser aus.« Sie wusste nicht, ob es richtig war, das Mädchen an den schrecklichen Moment zu erinnern, fragte aber dennoch: »Weißt du denn, wer auf dich geschossen hat? Hast du den Schützen gesehen? Vielleicht kannst du uns helfen, die bösen Männer zu finden.«
    Der Körper des Mädchens versteifte sich, und in ihre Augen trat ein Anflug von Panik. Der böse Traum, den sie erlebt hatte, war sofort wieder lebendig. »Du brauchst nicht zu antworten, wenn du nicht willst«, sagte ihre Mutter, doch sie wollte die schrecklichen Bilder endlich loswerden. »Ein weißer Mann …«, flüsterte sie, »er hatte ein Gewehr. Ich war Holz suchen …« Sie blickte ihre Eltern an, als erwartete sie Hilfe von ihnen. »… und als ich das Feuer sah, ging ich hin. Ich dachte, einer unserer Jäger wäre …« Sie legte eine längere Pause ein und weinte leise vor sich hin, dann sprach sie weiter:

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