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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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draußen auf dem Meer so stark empfunden hatte.
    Clarissa musste lächeln, als sie bemerkte, wie verkrampft Betty-Sue auf dem Schlitten saß. Sie war eine bemerkenswerte junge Frau. Selbstsicher und kompetent, wenn sie ihren Beruf ausübte, ohne jegliche Berührungsangst bei Goldgräbern und Indianern, obwohl sie in San Francisco mit ganz anderen Menschen zu tun gehabt hatte, und sofort wieder die schüchterne und ängstliche Städterin, wenn sie eine Siedlung hinter gelassen hatten und in freier Natur waren.
    »Keine Angst! Sie gewöhnen sich noch an Alaska!«, rief Clarissa.
    Sie übernachteten in einer leer stehenden Hütte, die Clarissa von einem Jagdausflug kannte, und fuhren am nächsten Tag in ein kleines Indianerdorf am White Creek. Die Bewohner waren weniger gut auf die Weißen zu sprechen als Chief Dan Short Hand und seine Verwandten, empfingen die beiden Frauen aber respektvoll und luden sie sogar zum Essen ein. Von einer geschwätzigen Indianerin erfuhren sie, dass ein weißer Fallensteller eine ihrer Frauen geheiratet und sie schon wenige Monate später in der Wildnis ausgesetzt hatte. Die Frau war nach Hause zurückgekehrt und hatte sich bald darauf von einem Felsen gestürzt. Der Häuptling hatte den Marshal um Hilfe gerufen, der schickte jedoch nur einen Stellvertreter, der wenig Interesse an dem Fall gezeigt hatte und außerdem der Meinung war, nichts gegen den Fallensteller unternehmen zu können, weil er und die Indianerin nicht nach amerikanischem Recht verheiratet gewesen waren und eine indianische Ehe von den Behörden nicht anerkannt wurde. Der Fallensteller war aus der Gegend verschwunden, und manche vermuteten sogar, dass ihn die Indianer umgebracht hatten. Es gab jedoch weder eine Leiche noch Beweise.
    Clarissa billigte einen möglichen Mord nicht, wandte sich aber auch gegen die Behörden, die meist ein Auge zudrückten, wenn Weiße die Täter und Indianer die Opfer waren. Der Fallensteller war nicht der einzige weiße Mann, der Indianerinnen für Freiwild hielt und sich an ihnen verging, ohne dafür belangt zu werden. Sie hatte die Indianer als sehr freundliche und umgängliche Menschen kennengelernt und war fest davon überzeugt, dass eine Anerkennung der Indianer als vollwertige Bürger dem Territorium nur hilfreich sein konnte. »In Alaska ist genug Platz für alle«, sagte sie oft zu Alex.
    Während der Stunden, die sie in dem Indianerdorf verbrachten, fiel Clarissa auf, dass sich Betty-Sue längere Zeit mit einem der jüngeren Männer unterhielt. Er war weder krank noch verletzt, fand aber offensichtlich Gefallen an der weißen Frau und hatte angeboten, ihr zu helfen. »Matthew«, stellte ihn Betty-Sue mit einem überraschend herzlichen Lächeln vor. »Er ist in einem katholischen Internat aufgewachsen und spricht fließend Englisch.«
    »Amen«, erwiderte der junge Mann freundlich. Er war ungefähr so alt wie Betty-Sue und wie ein Weißer gekleidet. Seine Haut war heller als die seiner Stammesbrüder und sein Haar so kurz geschoren, dass es kaum über die Ohren reichte. Er war kräftig und sah so gut aus, dass sich selbst eine weiße Lady in Vancouver nach ihm umgedreht hätte, aber es waren vor allem seine Augen, die verzauberten. Er blickte Betty-Sue mit einer solchen Begeisterung an, dass selbst Clarissa errötete und die Schwester zur Seite nahm: »Ich würde mich vorsehen, Betty-Sue. Am Ende verlieben Sie sich noch in den Kerl.«
    »Und? Wäre das so schlimm?«, erwiderte sie neckisch.
    Tatsächlich kam sich Clarissa an diesem Morgen reichlich überflüssig vor. Die kleinen Hilfsdienste, die sie während der vergangenen Aufenthalte ausgeführt hatte, übernahm Matthew und sorgte dafür, dass die Kranken und Bedürftigen in seinem Dorf jegliche Scheu vor Betty-Sue verloren. Sogar der grimmige Häuptling, der sich seine Finger beim Öffnen einer Konservendose aufgerissen hatte, ließ sich von ihr verarzten. Clarissa kümmerte sich in dieser Zeit um die Hunde, bereitete ihnen gemütliche Strohlager im Schnee und versorgte sie mit getrocknetem Lachs, den sie in lauwarmem Wasser aufweichte, und Reis aus ihrem Vorratsbeutel. Besonders Buster hatte riesigen Hunger.
    Eigentlich hatten Clarissa und Betty-Sue vorgehabt, am frühen Nachmittag nach Fairbanks zurückzufahren, doch nach der Sprechstunde lud der Häuptling sie zu einem Palaver in sein Blockhaus ein, und Clarissa nützte die Zeit, um ihn davon zu überzeugen, dass nicht alle Weißen so niederträchtig wie der treulose

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