Die Nacht der Wölfe
schluchzte hemmungslos. Ihr Körper schien nicht mehr ihr zu gehören, bäumte sich auf und fiel wieder zurück, während sich ihr Gesicht und ihre Hände tief in den Schnee gruben und nach einem Halt suchten, den es nicht gab. Sie weinte, bis keine Tränen mehr kamen und sie einer ihrer Huskys mit der Schnauze anstieß und ihr den Nacken leckte. Sie hob zögernd den Kopf und wischte sich den Schnee vom Gesicht und aus den Augen, erkannte Emmett und umarmte ihn. Sie flüsterte heiser: »Alex! Alex! Wir müssen ihn suchen!«
Langsam wich die schmerzvolle Glut aus ihren Adern, und sie gewann die Kontrolle über ihren Körper und ihre Gedanken zurück. Wie so oft, wenn das Schicksal in ihr Leben eingriff, wich die Panik rasch einer unerschütterlichen Ruhe, die sie überlegt und vorausschauend handeln ließ. Eine Lektion, die sie schon von ihrem Vater auf hoher See gelernt hatte. Weder auf dem Meer noch in der Wildnis Alaskas durfte man einen Fehler machen, sonst war man unweigerlich verloren und musste teuer dafür bezahlen. Wäre sie in ihrer ersten Panik auf den Schlitten gesprungen, um nach Alex zu suchen, ohne Vorräte und ohne ihre Waffe, hätte ihr die Natur schon nach wenigen Meilen einen Riegel vorgeschoben, und sie hätte umkehren müssen und wertvolle Zeit verloren. Wer in die Wildnis vordrang, musste alle seine Sinne beisammen haben.
Sie stand auf, tätschelte Emmett zwischen den Ohren und begrüßte Smoky und die Huskys, die den Schlitten gezogen hatten. Sie machte den Hunden keinen Vorwurf. Zu den ersten Lektionen, die man im Hohen Norden lernte, gehörte die Erkenntnis, dass ein Hundegespann selten stehen blieb, wenn es in der Wildnis unterwegs war, und der Musher aus irgendeinem Grund vom Trittbrett geschleudert wurde, es sei denn, die Leinen verhedderten sich, oder der Schlitten kippte um und blieb zwischen den Bäumen hängen. Auch deshalb rammte man bei jedem Halt einen Anker in den Schnee.
»Smoky! Was ist passiert? Wo ist Alex? Ist er … verletzt? Wo habt ihr ihn verloren, Smoky?«
Alles Fragen, die ihre Huskys nicht beantworten konnten, nicht einmal durch Gesten oder einen bestimmten Blick. Der ängstliche Ausdruck in ihren Augen verriet ihr lediglich, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Selbst die erfahrenen Waco und Chilco zitterten noch ein wenig. War Alex den Verbrechern begegnet? Hatten sie auf ihn geschossen? Hatte er sich von den anderen getrennt? War er allein unterwegs gewesen? Nicht die einzigen Fragen, die sie beim Anblick des Schlittens und der Hunde beschäftigten.
Obwohl sie selbst aufgewühlt und voller Ungewissheit war, beruhigte sie die Hunde mit liebevollen Worten und aufmunternden Klapsen, untersuchte jeden Einzelnen nach Verletzungen und richtete sich erleichtert auf, als sie feststellte, dass ihnen nichts passiert war. Lediglich Smoky humpelte ein wenig, eine alte Verletzung, die nie ganz ausgeheilt war, und auch ein Grund, warum sie ihn gegen Emmett austauschen würde, vor allem im Hinblick auf das Alaska Frontier Race. Auch wenn dies im Augenblick ihr letzter Gedanke war und sie noch gar nicht wusste, ob sie an dem Rennen teilnehmen würde.
Nur zögernd, aus Angst, sie könnte etwas Schreckliches entdecken, ging sie um den Schlitten herum. Der Vorratssack hing noch unter den Haltegriffen und enthielt Proviant für ungefähr zwei Tage. Falls Alex überlebt hatte, und sie wagte gar nicht daran zu denken, dass es anders sein könnte, war er auf die Notration angewiesen, die er in seinen Anoraktaschen verstaut hatte. Auch sein Gewehr fehlte … ein gutes oder ein schlechtes Zeichen. Ein gutes, wenn Alex nur vom Schlitten gefallen und Frank Whittler und seinen Männern entkommen war, ein schlechtes, wenn die Verbrecher ihn erschossen und die Waffe an sich genommen hatten. Dazu passten die Blutflecken, die sie an einem der Haltegriffe entdeckte. Dunkles Blut, längst geronnen und wie ein Bild aus einem ihrer Albträume.
Sie hielt sich am Schlitten fest und rang nach Luft, wollte gar nicht daran denken, was das Blut bedeuten konnte.
Sie atmete ein paarmal tief durch, spürte die kalte Luft in ihren Lungen und bekam wieder einen klaren Kopf. Noch war nichts verloren. Selbst wenn er verletzt war, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Er war ein zäher Bursche und lebte lange genug im Hohen Norden, um zu wissen, wie man in der Wildnis überlebte. Vielleicht hatten ihn die restlichen Männer des Aufgebots schon gefunden, und er saß in Decken gehüllt auf einem
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