Die Nacht der Wölfe
Skelette, die sich selbst im Halbdunkel des frühen Morgens deutlich gegen den Schnee abzeichneten. Das Land schien unter der winterlichen Kälte erstarrt zu sein, nur gelegentlich fuhr ein Windstoß in die Bäume und blies Schneeschauer von den Fichten. Der Neuschnee dämpfte das Geräusch der scharrenden Kufen.
Clarissa ahnte, wie unsinnig es war, an die wundersame Rückkehr von Alex zu glauben. Der Indianer, der mit dem Marshal und seinem Aufgebot geritten war, galt als einer der besten Fährtenleser des Nordens und hatte sich selten geirrt. Wenn er sagte, dass ihn einer der Verbrecher am Kopf verletzt hatte und er in die Felsspalte gestürzt war, gab es keinen Zweifel. Und doch wurde sie von der winzigen Hoffnung getrieben, er könnte sich dieses eine Mal geirrt haben und Alex hätte irgendwo überlebt. Als sie die Augen schloss, sah sie ihn zwischen den Bäumen hervortreten, eine blutige Schramme an der Stirn, aber sonst unverletzt, und mit dem jungenhaften Lächeln, das sie schon bei ihrer ersten Begegnung verzaubert hatte, doch schon im nächsten Moment holperte der Schlitten über einen Eisbrocken, sie öffnete erschrocken die Augen und musste sich mit ihrem ganzen Gewicht auf die Haltestange stützen, um die in der Luft hängende Kufe nach unten zu drücken.
Betty-Sue, die in Decken gehüllt auf der Ladefläche saß, drehte sich verwundert um, blickte aber gleich wieder nach vorn und war in Gedanken wohl bei Matthew. Ein Außenstehender hätte sich vielleicht über sie lustig gemacht, die weiße Frau aus San Francisco, jung und »grün hinter den Ohren«, wie die Alten sagen würden, die in den Hohen Norden gekommen war, voller Ehrfurcht von der Wildnis und ihren Gefahren sprach und an die Indianer aus den Wildwestgeschichten gedacht hatte, als sie mit Clarissa in die Dörfer gefahren war. Ausgerechnet sie verliebte sich in einen Indianer, ungeachtet des Spotts und der Verachtung, die sie damit auf sich zog, und der Gefahr, ihre Stellung zu verlieren. Hatte sie sich tatsächlich in ihn verliebt, oder war sie nur zu naiv, um die Folgen ihres Handelns erkennen zu können?
Nach ungefähr einer Stunde wurde der Trail steiler und wand sich in weiten Kurven in die Ausläufer der Berge hinauf. Schmaler und holpriger als noch zwischen den Bäumen führte er über eine Reihe von langgezogenen Hügeln, über die böiger Wind strich und den Neuschnee wirbelnd über den gefrorenen Boden trieb. Hier mussten die Hunde kämpfen, und Matthew und Clarissa waren beide gezwungen, von den Trittbrettern zu springen und den Huskys beim Erklimmen der steilen Hänge zu helfen. Mit kräftigen Schritten, jeden Muskel und jede Sehne bis zum Äußersten gespannt, arbeiteten sie sich durch den harschen Schnee, die Schnauzen im Wind, dunkle Schatten in der Nacht, die bleischwer über den Ausläufern der White Mountains zu liegen schien. Die dunklen Wolken über den Berggipfeln verrieten ihr, dass es weiter oben wieder schneite und sie mit starkem Schneetreiben rechnen mussten.
Hinter den Hügeln führte der Trail steil nach unten, und sie hatten vor allem damit zu tun, die Schlitten nicht zu schnell werden zu lassen, dann ging es wieder bergauf, und die Plackerei begann von Neuem. Durch ein Gewirr von schroffen Felsen gewann der Trail weiter an Höhe, führte an einer Felswand entlang und erreichte einen schrägen Hang, der als weiße Fläche zwischen den dunkel aufragenden Felsen schimmerte. Sie fuhren oberhalb des Hanges entlang, verlagerten das Gewicht nach links, um nicht abzurutschen, und lenkten die Hunde über eine zerklüftete Ebene, auf der einzelne Felsbrocken wie das Spielzeug eines Riesen herumlagen. Hier setzte auch der Schnee ein, der Wind frischte auf und blies ihnen die Flocken plötzlich ins Gesicht.
Clarissa hatte alle Hände voll zu tun, mit ihrem Schlitten auf dem Trail zu bleiben, und keine Zeit, an irgendetwas anderes zu denken, doch wenn sie in den Schnee blinzelte, tauchte Alex wieder auf, diesmal auf dem Trittbrett ihres Schlittens, das Gewehr über der Schulter und Frank Whittler und seinen Kumpanen auf den Fersen. Er jagte die Hunde durch das Felslabyrinth, die Banditen dicht vor sich und bereit, sie endgültig in die Enge zu treiben. Hatten Frank Whittler und seine Männer tatsächlich versucht, über die Berge zu entkommen? Und warum war Alex allein losgezogen? Warum hatte er nicht den Marshal und das Aufgebot geholt, wenn er auf eine Spur gestoßen war?
Sie war plötzlich so verwirrt, dass sie beinahe
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