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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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in unser Dorf kommen, wurde ich belächelt, doch ich behielt recht. Als ich die Bewohner unseres Dorfes vor einer Krankheit des weißen Mannes warnte, die mehrere Kinder töten würde, strafte man mich der Lüge, doch es geschah, wie ich vorausgesagt hatte. Als ich in meinen Träumen sah, wie ein weißer Mann eine unserer Frauen nehmen und sie wie Abfall zurücklassen würde, wollte man mir ebenfalls nicht glauben. Ich habe vieles in meinen Träumen vorausgesehen, und das ließ mein Volk in Tränen zurück. Aber auch in diesen schweren Zeiten ist nicht alles schlecht, und warum sollte nicht stimmen, was mir die Geister gestern Nacht zeigten?«
    »Ich würde dir gerne glauben«, erwiderte Clarissa. In ihrem Herzen war plötzlich ein Funken Hoffnung, doch ihr Verstand wehrte sich verzweifelt, diesen Funken zu einem lodernden Feuer werden zu lassen. »Ich weiß von einem Fährtenleser, dessen Fähigkeiten ich vertraue, dass mein Mann am Kopf getroffen wurde und in eine tiefe Felsspalte fiel. Er ist tot. So gerne ich das Gegenteil glauben würde, aber er ist tot, und ich werde ihn nie wieder sehen.«
    Der Medizinmann ließ sich nicht beirren. »Auch diese Felsspalte habe ich in meinem Traum gesehen. Leider war das Bild, das mir die Geister zeigten, nicht besonders klar, aber ich sah weder den Körper deines Mannes noch irgendeines anderen Menschen in der Spalte liegen. Ich habe dich nicht geweckt, um dir falsche Hoffnungen zu machen. Ich sage nur, was ich in meinen Träumen sah, und dass ich schon sehr oft die Wahrheit gesagt habe.«
    »Die Felsspalte … ist sie weit von hier?«
    »Ungefähr zwei Stunden mit dem Hundeschlitten, wenn man sich in den Bergen auskennt. Die meisten unserer Männer kennen den Weg. Auch Matthew kennt ihn …« Ein verschmitztes Lächeln entspannte sein faltiges Gesicht.
    Clarissa bedankte sich bei dem Medizinmann und kehrte in die Hütte zurück. Inzwischen war es früh am Morgen, und einige Indianer waren bereits aufgestanden, auch Matthew, der gerade dabei war, neue Holzscheite in den Ofen zu schieben und die Flammen anzufachen.
    »Matthew«, sprach sie ihn an. »Führst du uns zu der Felsspalte, in die mein Mann gestürzt ist? Der Medizinmann sagt, dass du sie kennst. Führst du uns mit deinem Schlitten hin?«
    »Viele Männer wissen, wo die Felsspalte liegt.«
    »Der Medizinmann will, dass du uns führst.«
    »Dich und Betty-Sue?« Er strahlte.
    »Mich und Betty-Sue. Nach dem Frühstück brechen wir auf.«
    Während Clarissa ihre Huskys fütterte und sie vor den Schlitten spannte, untersuchte Betty-Sue die Frau des Häuptlings. Die Schwellung war zurückgegangen, und die Frau hatte kaum noch Schmerzen. Die Wunde verheilte schnell. Sie bedankte sich überschwänglich bei der Schwester, lächelte ihrem Mann zu, der sich ebenfalls bei Betty-Sue bedankte und sie sogar mit einigen Goldkörnern bezahlte. Betty-Sue wollte sie ablehnen, doch als der Häuptling ihr erklärte, der Doktor würde nicht begeistert sein, wenn sie ihre Patienten kostenlos behandelte, nahm sie sie widerwillig an. Sie flößte ihrer Patientin warmen Tee mit Schmerzmittel ein und nickte zufrieden, als die Indianerin sich aufsetzte und erleichtert an die Wange griff. »Es geht mir gut«, sagte Emily.
    Als sie sich von den Indianern verabschiedeten, fragte niemand, warum Matthew sich anschickte, sie mit seinem Schlitten zu begleiten. Clarissa nahm an, dass der Medizinmann sie informiert hatte. Sie wartete, bis der Indianer losgefahren war, nickte dem Häuptling noch einmal zu und trieb die Hunde an. »Giddy-up, Emmett! Es geht los! Vorwärts, dem anderen Schlitten nach!«

19
    Matthew legte ein flottes Tempo vor. Er folgte einem gewundenen Trail, der ungefähr eine Meile am Ufer des White Creek entlangführte und dann in einen lichten Mischwald abbog, in dem man auch am frühen Morgen seine Umgebung erkennen konnte. Er war ein guter Musher, mit seinem Gespann bestens vertraut, und brauchte es kaum anzutreiben. Die Hunde schienen zu wissen, dass sie möglichst schnell und sicher ihr Ziel erreichen sollten.
    Um nicht vom Trail abzukommen, hielt Clarissa einen möglichst kurzen Abstand. Emmett hätte den anderen Schlitten am liebsten überholt, wie es bei einem Rennen von ihm verlangt wurde, er ließ seine Muskeln kräftig spielen und musste sich zwingen, genauso schnell wie die Huskys vor ihm zu laufen. Die Bäume flogen an ihnen vorbei, die Schwarzfichten mit schneebeladenen Ästen und Zweigen, die kahlen Laubbäume wie dunkle

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