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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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schien den geheimnisvollen Singsang zu hören, der plötzlich von draußen hereindrang und sie mitten in einem verstörenden Traum weckte. Sie richtete sich erschrocken auf. Neben ihr schlief Betty-Sue tief und fest, im Nebenraum schnarchten die Indianer. Niemand schien den Singsang wahrzunehmen, obwohl er selbst das Schnarchen und das laute Knistern des Feuers übertönte.
    Clarissa stand auf und blickte aus dem Fenster. Nachdem sie die verdunstete Feuchtigkeit von einer Scheibe gewischt hatte, beobachtete sie, wie eine dunkle Gestalt aus einer der notdürftigen Unterkünfte trat und scheinbar orientierungslos durch den Schnee stapfte. In der trüben Helligkeit, die trotz des bedeckten Himmel vom Schnee reflektiert wurde, erkannte sie den Medizinmann. Der Rabenbalg auf seinen schlohweißen Haaren schien ein Eigenleben zu entwickeln, als er mit seiner Rassel durch den Schnee stapfte und alle paar Schritte kräftig mit einem Fuß aufstampfte. Er sang ein Lied in seiner Sprache und bewegte sich langsam nach Norden, den Blick ständig nach oben gewandt, als wollte er die Geister beschwören, vom Himmel herabzusteigen.
    Nachdem er einige Schritte getanzt hatte, drehte er sich um und tanzte auf die Hütte zu. Die Rassel unablässig schüttelnd, schien er plötzlich nur für sie zu tanzen, und obwohl er seinen Kopf ständig bewegte, schienen seine Augen nur auf sie gerichtet zu sein. Ungefähr zwanzig Schritte vor der Tür blieb er stehen. Sein Singsang und das Rasseln verstummten, und er stand nur dort, eine schattenhafte Gestalt inmitten des Schnees, der lautlos auf das Dorf herabrieselte. Der leichte Wind bewegte seine langen Haare und die Karibufelle, in die er sich gehüllt hatte. Die Federn seines Rabenbalgs zitterten.
    Clarissa spürte, dass der Medizinmann auf sie wartete, und zog sich an. In ihrer Winterkleidung öffnete sie die Tür, beließ es nur bei einem schmalen Spalt, damit der eisige Luftschwall die anderen nicht weckte, und trat nach draußen. Nach der Hitze in der Blockhütte erschien ihr der Wind besonders eisig, doch sie störte sich nicht daran und ging dem Medizinmann langsam entgegen. Zwei Schritte vor ihm blieb sie stehen. »Du hast mich gerufen?«
    »Ich wusste, dass du mich verstehen würdest«, antwortete der greise Indianer. Sein Englisch klang etwas holprig und war von einem starken Akzent geprägt. »Ich habe von deinem Mann geträumt. Alex Carmack.« Er betonte jede einzelne Silbe. »Ein tapferer Mann. Ich habe ihn vor einigen Monden gesehen, als er mit seinem Schlitten durch die Wälder fuhr. In seinen Augen sah ich, dass er sich auf dich freute. Seine Liebe zu dir war stärker als alle anderen Gefühle. Und ich habe ihn heute Nacht in einem Traum gesehen. Diesmal war er ohne Schlitten, und an seiner Schläfe klebte Blut, aber er war am Leben, und die Geister halfen ihm durch die Dunkelheit. In seinen Gedanken war nur Platz für dich. Du hast mich tanzen sehen und singen gehört. Ich habe die Geister gebeten, mir Antworten auf die Fragen zu geben, die du mir stellen würdest, aber sie schweigen beharrlich, und ich kann dir nicht mehr sagen. Ich kann dir nicht einmal sagen, ob ich in meinem Traum die Wahrheit sah oder ob es nur der Wunsch war, den ich in deinen Gedanken erkannte.«
    Clarissa wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste, welche große Bedeutung die Indianer ihren Träumen beimaßen, und gehörte nicht zu den Weißen, die sich über den Geisterglauben der Indianer lustig machten, aber das, was der Medizinmann sagte, war so unwahrscheinlich, dass sie es eigentlich nicht glauben konnte. Der Fährtenleser konnte eine Spur von der anderen unterscheiden. Wenn er behauptete, dass Alex am Kopf getroffen wurde und in die abgrundtiefe Felsspalte gefallen war, gab es keine Hoffnung für ihren Mann, dann hatte sie ihn für immer verloren. Und doch … Wie gerne hätte sie geglaubt, dass der Traum des Medizinmannes der Wahrheit entsprach. Dass Alex auf wundersame Weise dem Tod entkommen war und sich zu Fuß durch die Wildnis kämpfte. Wenn es so war, würde er nicht sterben. Ein Mann wie er wusste sich in der Wildnis zu behaupten, und seine Erfahrung und sein Mut und nicht zuletzt seine Liebe zu ihr würden ihm helfen, nach Hause zu kommen. »Willst du mir sagen, dass Alex … dass mein Mann lebt?«, fragte sie.
    Der Medizinmann ließ nicht erkennen, was in seinem Kopf vorging. Mit heiserer, etwas brüchiger Stimme sagte er: »Als ich vor vielen Monden träumte, die Weißen würden auch

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