Die Nacht der Wölfe
Freundin Dolly. Und der Hund, den sie gerade streichelt, heißt Rusty. Die beiden glauben doch tatsächlich, uns in einem Rennen besiegen zu können. Aber die Suppe werden wir ihnen tüchtig versalzen. Wir lassen uns doch nicht von einer Engländerin, die erst vor drei Jahren übers Meer gekommen ist, und einem Hund aus Russland abhängen. Also, macht mir keinen Kummer! Wir zeigen ihnen heute mal, was eine richtige Harke ist, okay?«
Clarissa spannte ihre Huskys vor den Schlitten und verabschiedete sich von den Zurückgebliebenen. »Ihr kommt auch mal wieder dran«, tröstete sie Smoky, Billy, Buffalo und Cloud. »Sobald wir wieder mehr Zeit haben. Aber ihr seht ja, diese Lady aus England hält mich ständig auf Trab. Na warte, Dolly!«
Sie fuhren mit ihren Schlitten zum Trail hinab und stellten sich nebeneinander auf. Die Huskys stemmten sich bereits ungeduldig in die Gespanne, und die beiden Frauen hatten alle Hände voll zu tun, sie im Zaum zu halten.
»Wer zuerst auf dem Chena River ist, einverstanden?«
»Na, dann mal los!«, rief Dolly lachend und trieb gleichzeitig ihre Hunde an. »Vorwärts, Rusty! Mach schon, wir haben es eilig!« Rusty reagierte sofort, zerrte an der Führungsleine und riss die anderen Hunde mit. Er fand bald seinen Rhythmus und hielt auf den nahen Waldrand zu.
»Schneller, Rusty!«, rief Dolly, begeistert darüber, schon jetzt einen großen Vorsprung zu haben.
Clarissa hatte nicht mit einem solchen Blitzstart gerechnet und blickte ihr entgeistert hinterher. »Hey«, rief sie, »du kannst doch nicht einfach losfahren! Komm zurück! Das ist gegen die Regeln! Hast du gehört? Das ist unfair!«
»In der Liebe und beim Rennen ist alles erlaubt!«, rief Dolly lachend zurück, aber da war sie bereits im Wald, und Clarissa verstand sie kaum noch.
22
Wütend trieb Clarissa ihre Hunde an. Nach der Aufregung der letzten Tage waren ihre Gedanken noch zu träge und langsam, um wirklich konkurrenzfähig zu sein, auch wenn sich ihre Freundin große Mühe gegeben hatte, sie abzulenken. »Giddy-up, Emmett! Vorwärts, lass dich nicht abhängen!«, versuchte sie es mit dem Anfeuerungsruf ihres Mannes, das Signal für ihren Leithund, sich besonders stark ins Zeug zu legen. »Schneller, meine Lieben!«
Nach ungefähr einer halben Meile war auch Clarissa im Rennen. Der frische Fahrtwind vertrieb ihre trüben Gedanken und ließ ihren Kopf wieder klar werden, öffnete ihre Augen für den Trail und ihre Gegnerin. Emmett spürte, dass sie wieder hellwach war, und strengte sich noch mehr an. Er signalisierte den anderen Hunden, dass es bei dieser Fahrt auch darum ging, die vor ihnen fahrende Frau zu überholen und als Erste ins Ziel zu kommen. »Nicht so träge, Emmett!«, ließ Clarissa jetzt nicht locker. »Dies ist ein Rennen und keine Spazierfahrt! Schneller, schneller! Zeigt endlich, was ihr draufhabt!«
Clarissa genoss die rasante Fahrt. Dolly hatte genau die richtige Idee gehabt, denn was gab es Besseres, als mit einem Hundeschlitten durch die Wildnis zu brausen, wenn man von düsteren Gedanken geplagt wurde und den Kopf nicht freihatte? Wie ein Lebenselixier bliesen ihr der Wind und der feuchte Schnee, der von den Bäumen rieselte, ins Gesicht. »Giddy-up, Emmett! Vorwärts! Wir holen sie noch ein! In ein paar Minuten haben wir sie!«
Dolly war eine noch bessere Musherin, als sie gedacht hatte. Selbst aus der Ferne erkannte sie, wie locker ihre Freundin auf dem Trittbrett stand, im richtigen Augenblick in die Knie ging und nicht die geringste Schwierigkeit zu haben schien, ihr Gespann zu lenken. Rusty war ein erstklassiger Leithund mit starken Muskeln, wie geschaffen für ein langes Rennen wie das Alaska Frontier Race. »Wir kriegen dich!«, rief sie. »Wir kriegen dich noch, Dolly!«
Doch es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis sie ihre Freundin endlich eingeholt hatte und dicht hinter ihr fuhr, in dem lichten Wald allerdings ohne die Möglichkeit, sie zu überholen, so sehr sich ihre Hunde auf dem schmalen Trail auch bemühten. Einmal waren sie schon fast auf gleicher Höhe, als einer der Hunde in Dollys Gespann nach dem jungen Benny schnappte und Clarissa ihr ganzes Können aufbringen musste, um nicht in den Tiefschnee zu geraten. Sie musste anhalten und dem verstörten Benny gut zureden, bevor sie endlich weiterfahren konnte. »Das war unfair, Dolly!«, rief sie der Freundin aufgebracht hinterher. »Du bist disqualifiziert! Hörst du mich?«
Natürlich war ihr Vorwurf nicht ernst
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