Die Nacht der Wölfe
gemeint, und beide lachten noch, als Dolly längst hinter der nächsten Biegung verschwunden war und Clarissa gerade erst auf den Schlitten stieg und die Hunde antrieb. »Vorwärts, Emmett!«, rief sie ihrem Leithund zu. »Das lassen wir uns nicht gefallen! Noch hat sie nicht gewonnen. Wenn wir uns ranhalten, holen wir sie ein! Bis zum Chena River sind es noch drei oder vier Meilen, die schaffen wir in Rekordzeit! Heya, heya! Wollt ihr wohl laufen? Macht mir keine Schande!«
Fast schien es so, als fühlten sich auch ihre Huskys herausgefordert und durch das andere Team gedemütigt. Zumindest Emmett legte sich so ins Geschirr, als gelte es tatsächlich, einen neuen Rekord aufzustellen. Den anderen Hunden blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Schon nach kurzer Zeit fanden sie ihren Rhythmus, und es hatte beinahe den Anschein, als würden sie über den Schnee fliegen. Mit aufgestellten Ohren, die Schnauzen im eisigen Wind, folgten sie den Spuren des anderen Schlittens, schneller als bei ihrem letzten ernsthaften Training, als Clarissa mehrere Spurts mit ihnen eingelegt hatte, schnelle und anstrengende Sprints, wie sie bei einem Rennen besonders auf den letzten Meilen verlangt wurden. Die rasante Gangart gefiel ihnen, wenn sie ihnen auch viel Kraft und Energie abverlangte, und als Emmett sich in einer scharfen Kurve kurz nach seinen Artgenossen umsah, glaubte Clarissa fast, ein begeistertes Funkeln in seinen Augen zu entdecken.
Ungefähr eine Meile vor dem Chena River tauchte Dolly wieder vor ihnen auf. Sie war das Rennen offensichtlich zu schnell angegangen, und ihre Hunde liefen jetzt merklich langsamer. Innerhalb weniger Minuten war Clarissa an ihnen dran und rief: »Platz da! Platz da! Und keine faulen Tricks mehr!«
Diesmal war der Trail breit genug, und Dolly lenkte ihren Schlitten so weit nach rechts, dass Clarissa keine Schwierigkeiten hatte, sie zu überholen. Mit einem siegesgewissen Lächeln fuhr sie an der Freundin vorbei. Doch Dolly war zäh, und ihre Huskys besaßen noch genügend Reserven, um dicht an ihr dranzubleiben. Nur durch wenige Schritte voneinander getrennt, erreichten sie den Waldrand und jagten mit ihren Schlitten auf das feste Flusseis hinab.
»Whoaa! Whoaa!«, schallte es über den Chena River, als sie ihre Schlitten bremsten und nebeneinander anhielten. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und ein rötlicher Schimmer lag auf ihren Gesichtern. Ob die Röte von der Helligkeit im Osten oder der Anstrengung kam, ließ sich nicht erkennen.
»Aaah … das tat gut!«, rief Dolly schwer atmend.
»Du bist besser, als ich dachte!«, lobte Clarissa die Freundin.
Auf den letzten Meilen nach Fairbanks ließen sie es ruhiger angehen. Nebeneinander lenkten sie ihre Gespanne über das Eis, das während der letzten Tage noch fester geworden zu sein schien und von einer hauchdünnen Schneedecke überzogen war. Der Wind wehte hier etwas stärker und trieb den Schnee vor sich her, zwang sie, ihre Schals bis über die Nase zu ziehen, um besser gegen die eisigen Schauer geschützt zu sein. Weder Clarissa noch Dolly machte die Kälte etwas aus. Beide hatten sich während der letzten Jahre an die extremen Temperaturen in Alaska gewöhnt und erfreuten sich sogar an dem wehenden Schnee, der im rötlichen Licht der weit am östlichen Horizont stehenden Sonne verführerisch glitzerte.
Um die Mittagszeit fuhren sie hintereinander die First Avenue hinab. So hieß die Hauptstraße, seit wieder einige Häuser hinzugekommen waren und es bereits zwei andere Straßen in Fairbanks gab. Wegen des ungewöhnlich hellen Himmels und des guten Wetters bevölkerten zahlreiche Menschen die Plankenwege, die vorerst als Gehsteige dienten, und blickten neugierig auf die beiden Frauen. Sie machten eine bessere Figur als viele Männer auf ihren Schlitten und hielten in einer aufwirbelnden Schneewolke vor der Bank an.
»Und du willst mir das viele Geld wirklich leihen?«, vergewisserte sich Clarissa noch einmal. »Es kann etwas dauern, bis ich so viel zusammenhabe.«
»Unsinn«, erwiderte Dolly, »das geht schneller, als du denkst. Wenn das Roadhouse erstmal steht, wird es zur Goldgrube, das verspreche ich dir. Sieh dir die Stadt doch an, die ist jetzt schon größer als Dawson. Und wenn die vielen Männer erstmal draußen auf den Goldfeldern sind, kommen sie jeden Abend zu uns und lassen sich ein Bierchen schmecken, das ist mal sicher. In die Stadt ist es den meisten dann viel zu weit. Wir werden
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