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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Jerry? Ein Blockhaus bauen?«
    »Ich bin gelernter Zimmermann.«
    »Dann schickt Sie der Himmel, Jerry, und das habe ich bisher nur einmal zu einem Iren gesagt. Wir eröffnen ein Roadhouse, ungefähr zwanzig Meilen von hier an einem Nebenfluss des Chena River. Zwei Stockwerke, unten ein großer Gastraum mit Tresen und die Küche, oben zwei Schlafräume und ein kleineres Zimmer für mich. Ein Schuppen, ein Vorratshaus, ein Toilettenhaus. Außerdem die Einrichtung. Möbel, Herd, Ofen … was man so braucht. Glauben Sie, Sie kriegen das hin? Sie haben doch sicher Freunde hier, die sich nach einem Winterjob die Finger lecken. Wenn ja, treffen wir uns in einer Stunde im Saloon.« Sie deutete auf die Kneipe nebenan. »Ich weiß, so ein Saloon ist nichts für Damen, aber eine Lady wollte ich noch nie sein. Ich zahle gut, Jerry.« Sie nannte einen Betrag. »Und Sie bekommen das Doppelte.«
    Die ungläubige Miene des Iren verwandelte sich in ein breites Grinsen. »Klar kriege ich das hin. Ich wusste doch, dass Sie ein Herz für Iren haben.«
    »Wir sehen uns, Jerry.«
    Clarissa hatte die Unterhaltung der beiden mit wachsendem Staunen verfolgt und blickte Dolly aus großen Augen an. »Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glatt meinen, du hättest dich in diesen Iren verliebt!«
    »Ach ja?«, erwiderte Dolly nur.
    Clarissa folgte ihrer Freundin kopfschüttelnd zum Café der Witwe Bowles. Dolly ging mit festen Schritten, als hätte sie die prickelnde Unterhaltung mit dem Iren noch selbstbewusster gemacht, und schien sich regelrecht darauf zu freuen, den Bankdirektor in seiner Mittagspause zu stören. Was für eine Frau, dachte Clarissa. Wie Dolly den Verlust ihres Mannes überwunden hatte, grenzte beinahe an ein Wunder. Ihr schien niemand mehr etwas anhaben zu können.
    Das Lokal bestand aus einem großen Raum, der eher an einen Saloon erinnerte. Dichte Rauchschwaden hingen über den Tischen, an denen ausschließlich Männer saßen, sich den Eintopf der Witwe schmecken ließen oder sich bei einem Becher Kaffee und einer Zigarre vom Essen erholten. Als die beiden Frauen den Raum betraten, verstummten die Unterhaltungen, und die Männer blickten sie ungläubig an. Anscheinend war noch nie eine Frau hier gewesen.
    Das Lokal gab es erst seit einigen Wochen, und Clarissa hatte die Witwe Bowles noch nicht kennengelernt. Sie hatte sich eine rundliche Frau um die Fünfzig vorgestellt, doch die beschürzte Dame, die ihnen eilig entgegenkam, war noch keine dreißig und so attraktiv, dass sich nicht ohne Grund ausschließlich Männer bei ihr einfanden. »Guten Tag, meine Damen«, grüßte sie unsicher. »Ich fürchte, wir sind voll besetzt. Ist vielleicht auch besser, wenn Sie schräg gegenüber in Andy’s Café einkehren. Dort geht es nicht so laut zu, und Sie haben es vielleicht ein wenig gemütlicher. Nicht, dass ich weibliche Kundschaft grundsätzlich ablehne, verstehen Sie mich nicht falsch, aber die letzte Frau, die bei mir war, stand schon während der Vorspeise auf und verließ wütend das Lokal, weil die Männer am Nebentisch unchristlich geflucht hatten.«
    »Keine Bange, wir bleiben nicht lange«, beruhigte Dolly die aufgeregte Wirtin. »Wir sind nur hier, um Mister Flemming zum Dienst abzuholen.«
    »Mister Flemming?« Sie drehte sich nach dem Bankdirektor um. »Ich fürchte, er ist noch beim Kaffee. Er lässt sich gern etwas Zeit und raucht eine Zigarre nach dem Essen. Wenn Sie in zehn Minuten wiederkommen wollen?«
    »So lange wollen wir nicht warten«, sagte Dolly kühl. Der Blick der Wirtin hatte ihr gezeigt, wer Mister Flemming war, und sie hielt unbeirrt auf ihn zu. »Mister Flemming?«, sprach sie ihn an. »Mister William E. Flemming?«
    Der Bankdirektor blickte sie durch den Zigarrenrauch an und hätte sich wohl von seinem Stuhl erhoben, wenn er nicht so korpulent gewesen wäre. »Meine Damen? Oh, guten Tag, Mrs Carmack. Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie könnten Ihre stinkende Zigarre ausdrücken und mit uns kommen«, erwiderte Dolly frech. »Ich denke, nicht mal ein Bankdirektor hat sich eine Mittagspause von zwei Stunden verdient. Außerdem haben wir wenig Zeit.« Das stimmte zwar nicht, aber es schien Dolly Spaß zu machen, den Bankdirektor zu piesacken. Eine Retourkutsche für die frechen Antworten, die sie vom Angestellten einer Liverpooler Bank erhalten hatte, als sie nach einem Kredit für die Überfahrt nach Amerika gefragt hatte. Flemming konnte nichts dafür und war wesentlich großzügiger mit

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