Die Nacht der Wölfin
Kopf zum Spiegel. Er stand auf, ging quer durchs Zimmer und blieb vor mir stehen. Ich beugte mich vor und legte eine Hand an das Glas. Clay legte seine Fingerspitzen an meine und lächelte. LeBlanc fuhr zurück.
»Scheiße«, sagte er. »Ich dachte, das ist Einwegglas.«
»Ist es auch.«
Clay wandte den Kopf in LeBlancs Richtung und formte mit den Lippen drei Worte. Dann öffnete sich die Tür seines Raums, und einer der Beamten rief ihn nach draußen. Clay grinste mir zu und schlenderte mit dem Beamten aus dem Zimmer. Ich spürte eine Woge von Selbstvertrauen durch mich hindurchgehen.
»Was hat er gesagt?«, fragte LeBlanc.
»›Warte auf mich.‹«
»Was?«
»Es ist eine Herausforderung«, murmelte Marsten von der anderen Seite des Zimmers her, ohne auch nur von der Zeitschrift aufzusehen. »Er lädt dich ein, noch eine Weile zu bleiben und ihn besser kennen zu lernen.«
»Und, machst du das?«, fragte LeBlanc.
Marstens Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Mich hat er ja nicht eingeladen.«
LeBlanc schnaubte. »Also, für einen Haufen Killermonster seid ihr bisher mehr heiße Luft als sonst irgendwas. Ihr mit euren Regeln und Herausforderungen und dem ganzen Theater.« Er wedelte mit der Hand in meine Richtung. »Du zum Beispiel. Stehst da und tust unbeteiligt und tust so, als machte es dir absolut nichts aus, dass wir zwei in ein und demselben Zimmer sind.«
»Es macht mir auch nichts aus.«
»Sollte es aber. Weißt du, wie schnell ich dich umbringen könnte? Du stehst keinen Meter von mir entfernt. Wenn ich jetzt ein Messer oder eine Schusswaffe in der Tasche hätte, wärst du tot, bevor du auch nur kreischen könntest.«
»Wirklich? Ui.«
In LeBlancs Wange zuckte ein Muskel. »Du glaubst mir nicht, stimmt's? Woher weißt du eigentlich, dass ich keine Waffe dabeihabe? Die haben keinen Metalldetektor an der Tür. Ich könnte eine rausholen, dich umbringen und in dreißig Sekunden weg sein.«
»Dann tu's doch. Ich weiß schon, du magst unsere kleinen Spielchen nicht, aber tu's einfach mir zuliebe. Wenn du einen Revolver oder ein Messer hast, hol es raus. Wenn nicht, tu so als ob. Beweis mir doch, dass du könntest.«
»Ich brauche gar nichts zu beweisen. Schon gar nicht einer großmäuligen –«
Mitten im Satz hob er blitzschnell die Hand. Ich packte sie und brach ihm das Handgelenk. Das Knacken hallte durchs ganze Zimmer. Die Rezeptionistin sah auf, aber LeBlanc stand mit dem Rücken zu ihr. Ich lächelte ihr zu, und sie wandte sich wieder ab.
»Du – gottverdammtes – Miststück«, keuchte LeBlanc, während er den verletzten Arm an sich drückte. »Du hast mir das Handgelenk gebrochen!«
»Dann habe ich also gewonnen.«
Sein Gesicht lief dunkelrot an. »Du eingebildetes –«
»Niemand mag schlechte Verlierer«, sagte ich. »Beiß die Zähne zusammen und akzeptier. Bei Werwolfspielen wird nicht geheult. Hat Daniel dir das nicht beigebracht?«
»Ich habe das Gefühl, du bist hier nicht mehr erwünscht«, bemerkte Marsten, während er aufstand und die Zeitschrift wieder auf den Haufen der anderen warf.
Als LeBlanc nicht reagierte, kam Marsten zu ihm herüber und griff nach seinem Arm. LeBlanc trat zur Seite, bevor Marsten ihn berühren konnte, warf mir noch einen wütenden Blick zu und marschierte aus dem Zimmer.
»Die Freuden des Babysittens«, sagte Marsten. »Ich gehe dann wohl auch. Grüß Clayton von mir.« Marsten ging.
Ich stand da und hörte mein Herz hämmern. Ich hatte es geschafft, hatte meine Angst unter falscher Selbstsicherheit versteckt, und LeBlanc hatte es nicht bemerkt. Kinderleicht. Ich konnte es problemlos mit diesem Mutt aufnehmen. Warum also jagte mein Herz weiter, als sei ich ein Kaninchen in der Falle?
Zwanzig Minuten später saß ich immer noch im Wartezimmer und versuchte verzweifelt, etwas zu lesen zu finden. Ein Artikel in Cosmopolitan erregte meine Aufmerksamkeit. Der Titel lautete: ›Konstruktiv streiten: Festigen Sie die Beziehung zu Ihrem Liebhaber, oder vertreiben Sie ihn?‹ Faszinierend, vor allem die Sache mit dem Vertreiben, aber ich zwang mich dazu, die Zeitschrift wegzulegen. Cosmopolitan scheint nie etwas zu meinem eigenen Leben zu sagen zu haben. Warum stand da nie: Wie reagieren Sie, wenn Haarbüschel und Pfotenabdrücke Ihres Liebhabers neben einer Leiche gefunden werden? Zeigen Sie mir diese Frage in einer Frauenzeitschrift, und Sie haben eine neue Abonnentin geworben.
Ich suchte nach etwas anderem zum Lesen, als Clay ins Zimmer kam.
Weitere Kostenlose Bücher