Die Nacht der Wölfin
seine eigene Art. Er war ruhig und nahm die Dinge hin; er stritt nicht und äußerte nicht einmal eine abweichende Meinung. Das Einzige, was von Peters wilden Jahren übrig geblieben war, war sein Job. Er arbeitete nach wie vor als Tontechniker, einer der besten seiner Branche. Er verschwand immer wieder auf lange Tourneen, aber Jeremy machte sich niemals Sorgen um ihn oder bezweifelte, dass Peter sich in seinem Leben draußen anders als vollkommen überlegt und vernünftig verhalten würde. Jeremy hatte sogar mir erlaubt, für ein paar Wochen mit Peter zu verschwinden, damals, als ich mich in meinem Leben als Werwolf noch zu orientieren versuchte. Peter hatte mich eingeladen, ihn auf der kanadischen Etappe einer U2-Tournee zu begleiten. Es war die Erfahrung meines Lebens gewesen und hatte mich all meine Probleme vergessen lassen – was natürlich genau das war, was Peter beabsichtigt hatte.
An dieser Stelle war ich angelangt, als ein Paar Hände mich unter den Armen packte und mich von meinem Stuhl hochriss.
»Wach auf!«, sagte Antonio, kitzelte mich und ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. Er lehnte sich über meine Schulter und nahm das Vermächtnis in die Hand. »Gerade noch rechtzeitig, Pete. Wenn sie noch fünf Minuten weitergelesen hätte, wäre sie im Koma gewesen.«
Peter trat vor mich, nahm Antonio das Buch ab und verzog das Gesicht. »Sind wir so schlechte Gesellschaft, dass du dich lieber hier verkriechst und diese Schwarte liest?«
Antonio grinste. »Wahrscheinlich geht sie gar nicht uns aus dem Weg, sondern einem gewissen blonden Tornado. Jeremy hat ihn und Nicky einkaufen geschickt, du kannst jetzt also rauskommen.«
»Wir wollten fragen, ob du mit uns spazieren gehst«, sagte Peter. »Die Beine ein bisschen strecken, einander auf den neuesten Stand bringen und so.«
»Eigentlich wollte ich –«, begann ich.
Antonio nahm mich zum zweiten Mal unter den Armen und stellte mich diesmal auf die Füße. »Eigentlich wollte sie gerade zu uns kommen und uns sagen, wie sehr sie uns vermisst hat und dass sie darauf brennt, auf den neuesten Stand gebracht zu werden.«
»Ich wollte –«
Peter griff nach meinen Handgelenken und zerrte mich zur Tür. Ich stemmte mich dagegen.
»Ich komme ja mit«, sagte ich. »Ich wollte bloß sagen, dass ich hergekommen bin, um die Dossiers zu lesen, aber Jeremy muss sie genommen haben. Ich hatte gehofft, ich finde etwas, das mir hilft rauszukriegen, wer hinter dieser Sache steckt. Habt ihr Typen irgendwelche Ideen?«
»Massenhaft«, sagte Antonio. »Komm mit spazieren, und wir erzählen's dir.«
Als wir den Garten hinter uns hatten und auf dem Weg in den Wald waren, begann Antonio.
»Ich setze auf Daniel«, sagte er.
»Daniel?« Peter runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?«
Antonio hob die Hand und begann seine Gründe an den Fingern abzuzählen. »Erstens, er hat mal zum Rudel gehört, also weiß er, wie gefährlich so was auf unserem Territorium für uns ist, weil wir nicht einfach aus der Gegend verschwinden können oder wollen. Zweitens, er hasst Clay. Drittens, er hasst Jeremy. Viertens, er hasst uns alle – mit Ausnahme unserer lieben Elena, die praktischerweise nicht in Stonehaven weilte und deshalb von dem ganzen Chaos nicht betroffen war, und ich bin sicher, Daniel wusste das. Fünftens, er hasst Clay wirklich. Sechstens – halt, warte, andere Hand – er ist ein mörderischer kannibalischer Dreckskerl. Siebtens, hab ich erwähnt, dass er zugeschlagen hat, als Elena gerade nicht da war? Achtens, wenn er genug Schaden anrichtet, landet Elena vielleicht wieder auf dem freien Markt – Partnermarkt, meine ich. Neuntens, er kann Clay wirklich, wirklich, WIRKLICH nicht ausstehen. Zehntens, er hat dem ganzen Rudel Rache geschworen, vor allem den beiden Mitgliedern, die zurzeit in Stonehaven leben. He, mir gehen hier langsam die Finger aus, Kumpel. Wie viele Gründe willst du eigentlich noch?«
»Wie wär's mit einem, der die komplette Idiotie der Sache mit einbezieht. Und da ist Daniel nicht unser Mann. Nimm's mir nicht übel, Tonio, aber ich glaube, du siehst Daniel in der Geschichte, weil du ihn sehen willst. Er gibt den perfekten Sündenbock ab – nicht, dass ich was dagegen hätte, wenn es ihn irgendwann mal erwischt. Aber wenn du wetten willst – nicht zu hoch, bitte, ich habe nicht dein Geld zum Verpulvern –, ich setze auf Zachary Cain. Dumm genug ist er dafür. Wahrscheinlich ist der blöde Schläger eines Tages aufgewacht und hat sich
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