Die Nacht des einsamen Träumers.
»Dann ist er verrückt«, sagte Mimi Augello. Der Commissario antwortete nicht. »Bist du nicht einverstanden?«
»Nein. Auch wenn er verrückt ist... hat es doch Methode.« Augello, der seinen Hamlet nicht gelesen oder, wenn er ihn gelesen hatte, vergessen hatte, merkte nicht, dass das ein Zitat war.
»Und was für eine Methode soll das sein?«
»Mimi, es ist unsere Sache, das herauszufinden, meinst du nicht?«
Als sich die Wogen geglättet hatten und man in der Stadt kaum mehr von den beiden Überfällen sprach, tauchte der Handtaschendieb (wie hätte man ihn sonst nennen sollen?) wieder auf. An einem Sonntagmorgen um sieben Uhr ließ er sich mit dem üblichen Ritual die Tasche von Signora Gesualda Bommarito aushändigen. Dann schoss er auf sie. Und erwischte sie mit einem Streifschuss an der rechten Schulter. Genau genommen war die Verletzung nicht der Rede wert. Doch sie machte die Theorie des Commissario über den mit Platzpatronen geladenen Revolver zunichte. Vielleicht waren die Schießpulverreste, die man auf der Kleidung von Signora Tòdaro gefunden hatte, darauf zurückzuführen, dass der Schütze, der in letzter Sekunde bereut haben musste, was er tat, plötzlich sein Handgelenk gedreht hatte. Diesmal wurde die Kugel sichergestellt, und die Leute von der Spurensicherung teilten Montalbano mit, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine vorsintflutliche Waffe handele. In der Handtasche von Signora Gesualda, die mehr erschrocken als geschädigt war, befanden sich elftausend Lire. Gibt es denn so etwas, dass ein Handtaschendieb (oder was er sonst war) durch die Gegend fährt und alten Frauen auf dem Weg in die Frühmesse die Handtaschen abknöpft? Ein anständiger Handtaschendieb, ein Profi, ist erstens nicht bewaffnet, und außerdem passt er die Rentnerin ab, wenn sie mit der Rente aus der Post kommt, oder die elegante Dame auf dem Weg zum Friseur. Nein, an der ganzen Geschichte war irgendwas faul. Und nachdem Signora Gesualda verletzt worden war, begann Montalbano, sich Sorgen zu machen. Wenn dieser Blödmann weiterhin mit richtigen Kugeln schoss, würde er früher oder später so eine arme Frau töten.
Und so war es. Eines Morgens wurde Signora Antonia Joppolo, die fünfzigjährige Gattin des Rechtsanwalts Giuseppe Joppolo, um sieben Uhr vom Läuten des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Sie nahm ab und erkannte sofort die Stimme ihres Mannes. »Ninetta, Liebes«, sagte der Awocato. »Was ist los?«, fragte die Signora, sogleich besorgt.
»Ich hatte einen kleinen Unfall kurz vor Palermo. Ich liege im Krankenhaus. Ich wollte dir selbst Bescheid sagen, bevor du es von anderen Leuten erfahrst. Mach dir keine Sorgen, es ist nicht der Rede wert.« Doch die Signora machte sich Sorgen. »Ich fahre sofort los und komme«, sagte sie. Von diesem Gespräch berichtete Awocato Giuseppe Joppolo dem Commissario, als Montalbano ihn in der Klinik Sanatrix aufsuchte.
Logischerweise war also anzunehmen, dass die Signora, nachdem sie sich hastig angekleidet hatte, aus dem Haus gegangen und Richtung Garage geeilt war, die etwa hundert Meter entfernt lag. Nach wenigen Schritten war sie von einem Moped überholt worden. Annibale Panebianco, der in diesem Augenblick durch seine Haustür trat, sah noch, wie die Signora dem Mann auf dem Moped ihre Handtasche gab, hörte einen Schuss krachen und beobachtete, versteinert, wie die Ärmste zu Boden fiel und das Moped flüchtete. Als er sich wieder rühren und zu Signora Joppolo eilen konnte, die er sehr gut kannte, war nichts mehr zu machen, sie war mitten in die Brust getroffen worden.
In seinem Bett in der Klinik gebärdete sich Awocato Giuseppe Joppolo vor Verzweiflung wie ein Klageweib. »Alles meine Schuld! Dabei hab ich ihr gesagt, sie soll nicht kommen, sie soll zu Hause bleiben, und dass es nichts Schlimmes ist! Arme Ninetta, sie hat mich so lieb gehabt!«
»Waren Sie schon lange in Palermo, Awocato?«
»Ach was! Ich ließ sie in Vigàta zurück, als sie noch schlief, und habe mich mit meinem Wagen auf den Weg nach Palermo gemacht. Zweieinhalb Stunden später hatte ich den Unfall, ich rief sie an, sie wollte unbedingt nach Palermo kommen, und dann ist passiert, was passiert ist.« Er konnte nicht weitersprechen, vor lauter Schluchzen bekam er keine Luft. Der Commissario musste fünf Minuten warten, bis der andere in der Lage war, seine letzte Frage zu beantworten.
»Verzeihen Sie, Awocato. Hatte Ihre Frau gewöhnlich große Beträge
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