Die Nacht des einsamen Träumers.
quartare und giarre , Tonkrügen in verschiedenen Größen, voll gestellt war. Auch ein ramponierter Lieferwagen stand da. Tarantinos Haus am Ende des Hofes war aus unverputztem Tuffstein und hatte drei nebeneinander liegende Zimmer zu ebener Erde. Die Haustür war geschlossen, Montalbano schlug mit der Faust dagegen, es gab keine Klingel. Ein junger Mann Anfang dreißig öffnete ihm. »Guten Tag. Sind Sie Giuseppe Tarantino?« »Ja. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist De Magistris. Ich habe heute Morgen angerufen.«
»Meine Frau hat es mir gesagt. Was wollen Sie?« Montalbano hatte sich unterwegs keinen Vorwand einfallen lassen. Tarantino nutzte diesen Augenblick der Unsicherheit aus.
»Die Gebühren habe ich gezahlt, und die Lizenz ist noch nicht abgelaufen.«
»Das wissen wir, es steht in der Kartei.«
»Also?« Er war weder ausgesprochen feindselig noch ausgesprochen argwöhnisch. Irgendetwas dazwischen. Vielleicht behagte es ihm nicht, dass ein Fremder kam, während er bei Tisch saß. Der Duft nach Ragù war stark.
»Bitte den Signore doch rein«, rief drinnen eine Frauenstimme, dieselbe, die sich am Telefon gemeldet hatte. Der Mann schien sie nicht gehört zu haben.
»Also?«, sagte er wieder. »Wo haben Sie denn Ihre Fabrik?«
»Welche Fabrik?«
»Wo die Tonwaren hergestellt werden, natürlich. Der Brennofen, die...«
»Sie sind falsch informiert. Ich stelle die bùmmoli und die quartare nicht selber her. Ich kaufe sie im Großhandel. Die machen mir einen guten Preis. Ich verkaufe sie überall auf den Märkten und verdiene ein bisschen was dabei.« In diesem Augenblick hörte man den spitzen Schrei eines Säuglings.
»Der Kleine ist aufgewacht«, teilte Tarantino Montalbano mit, als wollte er ihn zur Eile antreiben. »Ich bin gleich wieder weg. Geben Sie mir die Adresse der Fabrik.«
»Firma Marcuzzo und Söhne. Der Ort heißt Catello, Contrada Vaccarella. Etwa vierzig Kilometer von hier. Auf Wiedersehen.«
Er schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Nie würde
Montalbano erfahren, wie Tarantinos Frau Ragù zubereitete.
Zwei Stunden lang fuhr er in der Umgebung von Catello herum, ohne dass ihm jemand den Weg zur Contrada Vaccarella hätte zeigen können. Und niemand hatte je von der Firma Marcuzzo gehört, die bùmmoli und quartare herstellte. Wie war das möglich, dass keiner etwas wusste? Oder wollten sie ihm nicht helfen, weil sie den Bullen witterten? Er traf eine Entscheidung, die ihm gar nicht behagte, und wurde in der Kaserne der Carabinieri vorstellig. Er erzählte die ganze Geschichte einem Maresciallo namens Pennisi. Als Montalbano fertig war, fragte Pennisi:
»Was suchen Sie denn bei den Marcuzzos?«
»Genau kann ic h Ihnen das auch nicht sagen, Maresciallo. Sie wissen darüber sicher mehr als ich.«
»Über die Marcuzzos kann ich nur Gutes sagen. Die Fabrik hat Anfang des Jahrhunderts der Vater des jetzigen Besitzers namens Aurelio gegründet. Dieser Aurelio hat zwei verheiratete Söhne und mindestens zehn Enkel. Sie wohnen alle zusammen in einem großen Haus neben der Fabrik. Glauben Sie, er hält einen Entführten an einem Ort fest, an dem sich zehn Kinder tummeln? Sie sind überall als ehrliche und anständige Leute geachtet.«
»Schon gut, vergessen Sie's, Maresciallo. Ich frage Sie etwas anderes. Kann jemand, der in Schwierigkeiten ist, weil er entführt wurde oder bedroht wird, diesen Zettel in einen bùmmulo gesteckt haben, ohne dass die Marcuzzos es wussten?«
»Jetzt frage ich Sie etwas, Commissario: Warum sollte jemand, der entführt wurde oder dem mit dem Tod gedroht wird, sich im Umkreis der Fabrik der Marcuzzos befinden? Jeder Kriminelle würde sich hüten, sich ihr zu nähern, weil er weiß, wie die Marcuzzos sind.«
»Haben sie Arbeiter? Angestellte?«
»Niemanden. Das macht alles die Familie. Auch die Frauen arbeiten.«
Offenbar fiel ihm plötzlich etwas ein. »Von welchem Tag ist diese Zeitung?«, fragte er. »Vom dritten August letzten Jahres.«
»An diesem Tag war die Fabrik ganz sicher geschlossen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin seit fünf Jahren hier. Und seit fünf Jahren schließt die Fabrik am ersten August und macht am fünfundzwanzigsten wieder auf. Ich weiß es, weil Aurelio mich anruft und mich über die Abreise informiert. Sie fahren alle nach Kalabrien, wo die Frau des älteren Sohnes ihre Familie hat.«
»Entschuldigen Sie, aber warum informiert er Sie
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