Die Nacht des einsamen Träumers.
Regierung ins Gefängnis gesteckt, dann freigelassen, Verfechter der Demokratie, in kaum zehn Jahren ein hohes Tier in der rumänischen Politik und Wirtschaft. Sein Vater Virgil lebte sehr zurückgezogen, es gelang ihm, in Vergessenheit zu geraten. Ein Skandal hätte Ions brillanter politischer Karriere sicherlich ein Ende gesetzt. Finden Sie das nicht ein gutes Motiv, meinen Vater zu töten?«
Montalbano antwortete nicht sofort. Fasziniert musterte er die schöne Frau, die ihm gegenübersaß. Er dachte an ihren Mann: Sollte er zufällig beschließen, ihr en passant Hörner aufzusetzen, bekäme sie im Handumdrehen Name, Vorname, Namen des Vaters und der Mutter, Familienstand und Adresse der Nebenbuhlerin heraus, obendrein wieviel sie laut Steuererklärung verdiente. Simona Minescu errötete leicht unter dem eindringlichen Blick des Commissario, und Clementina Vasile Cozzo wusste, dass sie jetzt eingreifen musste.
»Was sagen Sie dazu, Commissario?«
»Die Argumentation ist stimmig. Aber, Signora Simona, was genau wollen Sie eigentlich von mir?«
»Gerechtigkeit«, sagte Simona Minescu einfach. »Sowohl für das, was damals der Vater getan hat, als auch für das, was jetzt der Sohn getan hat.«
»Das wird schwierig sein und lange dauern. Aber wenn Sie mir dabei helfen, schaffen wir es bestimmt, verehrte Kollegin«, sagte Montalbano, erhob sich und verneigte sich tief.
»Liebster Salvo...« »Meine liebe Livia«
Boccadasse, 2. Juli
Salvo, mein Liebling, am Telefon konnte ich nicht sprechen, weil ich zu durcheinander war. Du hast hier in Boccadasse, als du mich einmal besuchtest, kurz meine Freundin Francesca gesehen. In Vigàta habe ich dir oft von ihr erzählt. Ich wünschte so sehr, du hättest sie richtig kennen gelernt; wenn du aus Vigàta kamst, lud ich sie jedes Mal zu mir ein, aber sie zog sich zurück, erfand Ausreden und schaffte es (abgesehen von dieser einen Gelegenheit), eine Begegnung mit dir zu vermeiden. Ich glaubte sogar, sie sei eifersüchtig auf dich. Das war ein dummer Irrtum. Nach einiger Zeit begriff ich, dass Francesca, wenn sie nicht nach Boccadasse kommen wollte, während du hier warst, dies aus Feingefühl, aus Diskretion nicht tat, sie fürchtete, uns zu stören. Wie du vielleicht schon weißt, hatte ich Francesca vor Jahren im Büro kennen gelernt, sie arbeitete in der Rechtsabteilung, und wir waren schnell Freundinnen geworden, obwohl sie jünger war als ich. Dann war aus Freundschaft Zuneigung geworden. Sie war ein ganz besonders anständiger und großzügiger Mensch, in ihrer Freizeit war sie ehrenamtlich tätig. Nie sprach sie von einem Mann, der sie besonders interessiert hätte. Sie trank nicht, sie rauchte nicht, sie hatte keine Laster. Eben eine ganz normale junge Frau, ruhig, zufrieden mit ihrer Arbeit und ihrem Leben in der Familie. Sie war das einzige Kind und lebte bei den Eltern. Wie immer wollte sie den Urlaub mit ihnen verbringen. Um zwanzig Uhr sollten sie die Fähre nehmen. Gestern stand Francesca wie üblich um acht Uhr dreißig auf, frühstückte und packte den Koffer für die Reise. Gegen halb elf verließ sie das Haus, ihrer Mutter sagte sie, sie wolle einen Badeanzug und andere Kleinigkeiten kaufen. Zum Mittagessen sei sie zurück. Sie nahm eine große Tasche mit, eine Art Beutel. Die Eltern warteten lange mit dem Essen auf sie. Dann machten sie sich allmählich Sorgen. Sie riefen verschiedene Leute an: Auch mich riefen sie an, aber Francesca und ich hatten uns am Dreißigsten nachmittags voneinander verabschiedet. Ich machte mir auch Sorgen, Francesca war nicht nur pünktlich und zuverlässig, sie hätte auch niemals etwas getan, was ihren Eltern Sorgen bereitete. Nach ein paar Stunden rief ich bei den Leonardis an. Francescas Mutter sagte weinend, sie hätten noch nichts gehört. Ich fuhr gleich zu ihnen. Als ich das Haus betrat, sprach mich die Pförtnerin an, die ganz verstört war. Neben ihr stand ein eleganter Mann um die vierzig, der sich als Kommissar der Mordkommission auswies. Glaub mir, ich bin fast in Ohnmacht gefallen. Sofort, noch bevor er sprach, wusste ich, dass Francesca etwas nicht Wiedergutzumachendes zugestoßen war. Er drückte mit einer warmherzigen Geste meinen Arm und sagte, Francesca sei tot. Er wollte gerade davon anfangen, dass es sich um ein Unglück handle, als ich ihn unterbrach: »Wenn es ein Unglück gewesen wäre, wären Sie nicht hier. War es eine Personenverwechslung, ein fataler Irrtum?« Es schien und scheint
Weitere Kostenlose Bücher