Die Nacht des Satyrs
wäre, zwischen ihm und einem Kind zu wählen, mochte er sich gar nicht ausmalen, wofür sie sich entschied. »Ich weiß es nicht. Sie hat bereits geäußert, dass sie sich wünscht, Mutter zu werden.«
»Falls du Morpheus sein Anrecht auf das Kind streitig machst …«
»Was ich tun werde«, fiel Raine ihm ins Wort.
»Sei darauf gefasst, dass der Anderweltrat ihm zumindest das Recht zuspricht, es zu sehen«, fuhr Nick fort. »Und wahrscheinlich auch, es zu besuchen. Womit er sich Zugang zu unserer Welt gesichert hätte. Das müssen wir verhindern.«
»Immer vorausgesetzt, dass er sie erfolgreich befruchten konnte, was ich bezweifle. Ich tat mein Bestes, um sicherzustellen, dass das Kind, das sie trägt, ein Satyr ist, nicht Morpheus’ Leibeserbe. In den kommenden Wochen bis zur Niederkunft werde ich mich bemühen, sie ihre Träume kontrollieren zu lehren, auf dass er sie nicht wieder heimsuchen kann.«
»Die Nachwirkungen, die es haben könnte, sollte sie noch tiefer in Morpheus’ Netz gezogen werden, würden nicht nur unsere Familie betreffen. Falls er auf diesem Wege die Erlaubnis erhält, in die Erdenwelt zu kommen, werden bald andere aus der Anderwelt folgen.«
Raine stand auf und trat ans Fenster. Während er sich mit den Fingern durch sein Haar fuhr, betrachtete er die Weinberge in der Mitte ihres Anwesens. Zum ersten Mal, seit er als Junge hergekommen war, wünschte er sich beinahe, er könnte dies alles hinter sich lassen und mit Jordan fortgehen. Irgendwohin, wo sie sicher war, wo ihr keine unnatürlichen Gefahren drohten. Doch einen solchen Ort gab es nicht.
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31
A lso, wie ich von Jane erfuhr, dürfen du und ich während des nächsten Monats keine intimen Kontakte haben«, sagte Jordan, als sie mit Raine durch den Wald spazierte. Nick und Jane hatten sie zum Mittagessen eingeladen, und nach ihrer Rückkehr war Raine für mehrere Stunden verschwunden, so dass es inzwischen später Nachmittag war.
Raine hob sie über eine niedrige Steinmauer, bevor er selbst hinüberstieg. »Das ist richtig.«
Schmunzelnd sah sie ihn an. »Und was genau ist von dieser Regel ausgenommen?«
»Worauf willst du hinaus?«
Sie kam näher. »Zum Beispiel, darf ich dich hier berühren? Oder dies tun?«
Raine schob ihre Lippen von seinem Hals und zog ihre Hand von seinem Schritt. »Auch wenn es schmerzt, das zu sagen: nein, zu beidem.«
Sie seufzte. »Das wird ein schaurig langer Monat.« Sie blickte nach vorn und bemerkte, dass der Weg beständig felsiger wurde. »Wohin gehen wir?«
»Wir sind schon da«, klärte er sie auf und blieb neben einem kleinen Felsentümpel stehen. »Hier, ich habe etwas für dich.« Er zog ein kleines juwelenbesetztes Fläschchen an einer Goldkette aus seiner Tasche und hängte es ihr um den Hals.
Sie hob es von ihrer Brust und sah es verwundert an. »Das ist wunderschön!«
»Ich bin froh, dass es dir gefällt, denn fortan wirst du es immerzu tragen. In dem Fläschchen ist eine Mischung aus seltenen Ölen, die ich dir zusammengestellt habe. Sie fungiert als Traumfänger, eine Art Netz, das dir erlaubt, im Schlaf zwischen wirklich und unwirklich zu unterscheiden.«
Sie umschloss das Fläschchen mit ihrer Faust. »So einfach ist das?«
»Beinahe. Die Öltinktur kann erst wirken, wenn sie geweiht wurde.« Er wandte sich ab, worauf die Luft um sie herum zu schimmern begann und zwei Nebelnymphen erschienen, beide bezaubernd schön und mit schillernder Haut.
»Warum sind sie hier?«, fragte Jordan skeptisch.
»Um an dem Ritual teilzunehmen.«
»Welches Ritual?«
Er sah sie an, als wäre sie enervierend begriffsstutzig. »Das Ritual der Öle – die Weihe, die ich eben erwähnte. Während des Rituals wirst du besonders empfänglich für Alpträume sein. Aber sobald es vollzogen ist, kannst du sie besser kontrollieren … solange du das Amulett trägst.«
Jordan hob beide Hände. »Deine Erklärung wirft so viele Fragen auf, dass ich kaum entscheiden kann, mit welcher ich beginnen will.«
»Dieser Teich ist eine Brutkammer, die aus Felsen des Asklepios-Tempels erbaut wurde, wo man dem Heilsgott huldigt«, erklärte er geduldig und wies auf den felsigen Tümpel. »Du wirst die Nacht hier mit den Nebelnymphen verbringen, und morgen bei Sonnenaufgang ist das Ritual vollendet.«
Die schimmernden Frauengestalten kamen auf sie zu. Misstrauisch sah sie die beiden an und versteckte sich hinter Raine. »Du meinst, ich soll hier bei ihnen bleiben? Ohne dich?«
»Ja, aber ich werde
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