Die Nacht des Satyrs
hingegeben, und zwar mit La Maschera. Ach! Ich sehe Eurem Gesicht an, dass er es fürwahr tat. Pfui, pfui!«
»Was verlangt Ihr im Tausch gegen Euer Schweigen?«
»Vorerst? Nur ein paar Informationen.«
»Welche?«, fragte sie angewidert.
»Habt Ihr Eure Mutter ermordet?«
Sie riss die Augen weit auf und schüttelte vehement den Kopf. »Nein! Ich verdächtigte Euch!«
»Ich bin kein Mörder!«
»Wie ich auch nicht!« Abermals versuchte sie, sich von ihm loszureißen. »Wie habt Ihr mich gefunden?«
»Ein Informant verriet mir Euren Aufenthaltsort. Seit Tagen liege ich hier auf der Lauer und begann schon, mich zu fragen, ob Ihr irgendwann das Anwesen verlasst. Und, siehe da! Heute fallt Ihr mir geradewegs in den Schoß.«
Immer noch wehrte sie sich gegen ihn, während er sie zu seinem Pferd zog. Doch gegen seine überlegene Kraft konnte sie nichts ausrichten.
»Nach ihrem Tod hat er mich übrigens eine ganze Weile belästigt«, informierte Salerno sie.
»Wer?«
»Der Gendarm. Er wusste, dass ich an dem Morgen, bevor Eure Mutter starb, im Haus gewesen war und Euch abgeholt hatte. Ich glaube, er vermutete eine Verschwörung zwischen uns. Aber er konnte mir den Mord nicht nachweisen, und die Wahrheit ist, dass ich die Tat nicht beging. Wenn Ihr gleichfalls unschuldig seid, bleibt der Fall ungelöst. Andererseits schert es mich auch nicht weiter.«
Jordan wusste, warum der Constable Salerno verdächtigt hatte. Sie hatte ihm eine anonyme Botschaft zukommen lassen, in der sie andeutete, dass der Arzt der Täter sein könnte.
Nachdem er kurz in seiner Satteltasche herumgewühlt hatte, holte er einen Lappen heraus, den er Jordan fest auf Mund und Nase presste. Das Tuch war mit etwas eklig Stinkendem getränkt, so dass sie fast keine Luft mehr bekam.
»Wohin bringt Ihr mich?«, keuchte sie.
»Zurück nach Venedig, selbstverständlich, La Maschera. Nun, da Eure Mutter fort ist, kann jeder Tag Euer Geburtstag sein.«
Jordans Augen verdrehten sich, bevor sie zufielen und alles schwarz wurde.
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35
R aine grauste es davor, wie die Tage vergingen. Mit jeder Minute, jeder Stunde wuchs seine Sorge. Wo mochte sie stecken? War sie in Sicherheit? Ging es ihr gut? Er vergrub sich in seine Arbeit, wie er es getan hatte, bevor sie kam. Das Pressen der Trauben war abgeschlossen, und er hatte regelmäßig Proben von den Maischbecken genommen.
Den Rest seiner leeren Stunden füllte er, indem er über das Anwesen wanderte, beobachtete, wie die Reben nach und nach ihre Farbe veränderten und von Gold zu flammendem Rot wechselten.
Zum Ende des Herbstes kam das Anhäufeln. Dann gingen sie mit Pflügen zwischen den Rebenreihen hindurch und häuften fruchtbaren Boden um die Stämme auf, der sie vor der Winterkälte schützte. Bald darauf würden die Reben das Laub abwerfen und von Mitte November bis Mitte März – wenn die Bacchanalien stattfanden, in einen Schlafzustand verfallen. Spätestens im Frühjahr wollte er Jordan wieder hier haben, denn er stellte sich ungern die Feier ohne sie vor.
Auch Lyon sollte tunlichst demnächst zurückkommen, sonst würde Raine noch wahnsinnig.
Eines Nachmittags stieß er auf dem Gartenweg auf kleine Bänderabschnitte. Er bückte sich, um sie genauer anzusehen. Es waren die Stockbündel, die Jordan zurückgelassen hatte. Ein Geschenk hatte sie sie genannt. In den Tagen, seit sie fort war, hatte es ein- oder zweimal geregnet, so dass die Bänder von Schlamm benetzt wurden, der inzwischen getrocknet war und sie hart gemacht hatte.
Raine hob eines der noch ziemlich intakten Bündel auf und betrachtete es genauer. Er fragte sich, was sie auf die Idee gebracht hatte, solche seltsamen Objekte zu fertigen. Einer der Zweige stammte von einer amerikanischen Baumsorte, der andere von einer heimischen italienischen. Als er die Zweige vorsichtig auseinanderzog, bemerkte er, dass die Rinde sich an der Stelle abgelöst hatte, an der die Stöckchen sich kreuzten. Er nahm ein zweites Bündel in die Hand und sah, dass es aus derselben Kombination bestand: amerikanisches Gehölz mit italienischem vereint. Sie schien die beiden unterschiedlichen Hölzer absichtlich zusammengebracht zu haben, als meinte sie, die beiden müssten … verpfropft werden.
Wie ein Donnerschlag traf ihn die Erkenntnis, was es zu bedeuten hatte. Ihre Träume hatten Jordan angespornt, die Bündel zu schnüren, und sie waren eine Art Botschaft für ihn, deren Bedeutung Jordan selbst nicht verstanden hatte.
Er hingegen begriff
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