Die Nacht des Satyrs
warben, Kostproben schenken.
Die Luft um sie herum war schwer vom Duft reifer Trauben und Weines, und die Gespräche und das Lachen der Besucher wurden von den blumigen Beschreibungen der Winzer übertönt, die ihre Jahrgänge als die besten von allen anpriesen.
»… eine dezente Note von Vanille-Eichenholz … die Nase von reifen Beeren und kräftigen dunklen Pflaumen … die Beinoten werden durch lange Reifung gewonnen … süße Stachelbeere im Abgang …«
»Seht her! Er zieht gerade ein Fass auf«, sagte Raine zu Jordan und zeigte auf einen der Küfer. »Das ist einer der ersten Schritte in der Herstellung eines Weinfasses. Zuerst werden die drei Eisenringe angepasst, so dass sie die Fassdauben halten.«
Dann deutete er auf einen anderen Küfer, der über einem offenen Feuer arbeitete. »Er brennt das Fassinnere aus. Wie stark die Innenwände gebrannt werden, wirkt sich auf die Alterung des Weines aus, der in dem Fass reift. Ein Winzer kann zwischen leicht, mittel und stark wählen, je nachdem, welche Trauben er verwendet und was für einen Wein er in dem jeweiligen Fass lagern will.«
Ein benachbarter Winzer kam herüber, um ihnen von seinem Wein einzuschenken. Alle vier schleuderten sie die letzten Tropfen der vorherigen Kostprobe ins Gras und ließen sich von dem Mann nachschenken. Jordan erhob kichernd ihr Glas. »Ein Trinkspruch!«
Raine lächelte und fragte sich, ob sie schon einen kleinen Schwips hatte.
Unterdessen bedeutete Nick seiner Frau stumm, dass er gern allein mit seinem Bruder sprechen würde.
Jane nickte ihm kaum merklich zu, hakte sich bei Jordan ein und fragte: »Habt Ihr schon die Maischbecken gesehen?«
Als Jordan verneinte, informierte Jane Nick und Raine: »Ich führe Jordan ein bisschen herum«, und zog sie mit sich von den beiden Brüdern weg.
Nick beobachtete, wie Raine ihnen hinterhersah, und ihm entging nicht, mit welcher Sehnsucht er Jordan betrachtete. Zwar waren Anzeichen dieser Art bei Raine stets äußerst verhalten, aber nach all den Jahren hatte Nick gelernt, ihn zu durchschauen – besser als die meisten anderen Menschen.
»Du kannst sie nicht weiterhin in deinem Haus wohnen lassen, ohne sie zu heiraten«, ermahnte Nick ihn, sobald die beiden Frauen außer Hörweite waren. »Was ist mit ihrer Erdenweltfamilie? Haben sie keine Einwände?«
»Sie behauptet, dass sie keine lebenden Angehörigen mehr hat.«
»Dennoch fordert Feydons Brief explizit den Schutz der Ehe. Hast du etwas von den Gefahren gefühlt, die er erwähnte?«
Raine schüttelte den Kopf. Sie schritten den Weg entlang, nickten hier und dort Bekannten zu. »Ich weiß noch nicht, wovon sie ausgehen könnte. Aber ich behalte Jordan in der Nähe und gebe auf sie acht.«
»Und paarst dich mit ihr.«
Raine zuckte zusammen.
»Ich konnte spüren, wie sehr du sie genossen hast, als ihr das erste Mal in Venedig zusammenkamt, selbst über die große Distanz hinweg«, erklärte Nick. »Aber ich weiß auch, dass du dich nicht so oft mit ihr vereinst, wie du es gern würdest. Warum übst du dich in Enthaltung?«
»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Bruder!«
»Dies
ist
meine Angelegenheit – eine Familienangelegenheit. Du hast sie vor zwei Nächten nicht zum Ruf mitgebracht. Wirst du sie das nächste Mal mitbringen?«
»Nein.«
»Und warum zum Teufel nicht?«
»Darf ich dich daran erinnern, dass du Jane über mehrere Vollmonde nicht mitbrachtest, nachdem du sie hergeholt hattest?«
»Und wie sich herausstellte, setzte ich sie durch mein Zögern einem unnötigen Risiko aus. Einzig eine Rufnacht mit Jordan bietet ihr das Maß an Schutz, das sie braucht, damit sie sicher ist und mit ihr das Tor zwischen der Anderwelt und dieser Welt. Feydons Nachkommen dürfen sich hier keine Macht verschaffen, indem sie Jordan benutzen. Egal, wie sie in der Sache denkt, du musst sie beim nächsten Vollmond mit in die Klamm bringen und die Tat vollbringen!«
»Ich zeuge keine Kinder mit ihr.«
»Das ist deine Entscheidung«, entgegnete Nick achselzuckend. »Obgleich ich denke, dass du einen Fehler begehst.«
Zwei junge Frauen aus dem Dorf kamen auf sie zu und boten ihnen Festkränze aus Weinblättern an, die sie gewunden hatten. Sie krönten die beiden Brüder und wollten noch ein wenig verweilen, um mit ihnen zu flirten.
Nick bedankte sich und wies ihre Avancen freundlich, aber bestimmt ab.
Ungleich kühler gab Raine sich ihnen gegenüber, nahm den Kranz sofort wieder ab und gab ihn dem einen
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