Die Nacht des Satyrs
waren.
»Was ist?«, fragte Nick seinen Bruder.
»Jordan erzählt mir, dass sie geträumt hat. Sie hat Alpträume«, antwortete Raine.
»Und?«, hakte Nick achselzuckend nach.
»Die Träume begannen, als sie
dreizehn
wurde.«
Sogleich merkte Nick auf.
»Warum ist das so besonders?«, erkundigte Jordan sich.
»Es ist das Alter, in dem die Verwandlung einsetzt«, erklärte Nick ihr, sah zu seiner schläfrigen Frau hinab und strich ihr sanft über das Haar. »Jane spürte ihre Anderweltkräfte ebenfalls zum ersten Mal mit dreizehn.«
Anderweltkräfte? Jordan fröstelte, und plötzlich wünschte sie sich, Raine würde sie so im Arm halten wie Nick seine Frau. Leider gab er sich ganz und gar sachlich distanziert.
»Erzähl uns von den Träumen!«, forderte er sie auf.
Jordan machte die Schultern gerade und wappnete sich, um noch mehr ihrer dunkelsten Geheimnisse zu enthüllen. »Nun, den ersten Alptraum, an den ich mich erinnere, hatte ich in der Nacht vor meinem dreizehnten Geburtstag. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Geburtstage waren für mich nie angenehme Anlässe, und vor ihnen habe ich selten schöne Träume.«
Jane öffnete mühsam die Augen, denn sie war für einen Moment eingenickt. »Was ist in dem ersten Traum passiert? Weißt du es noch?«, fragte sie freundlich.
Jordan spreizte ihre Hände und schaute sich um. »Ich habe diesen Kreis gesehen. Die Statuen machten mir Angst, weil sie so lüstern wirkten. In den sechs Jahren seither habe ich immer wieder einmal von ihnen geträumt.«
»Und was ist mit deinen anderen Träumen?«, wollte Nick wissen.
»Die meisten sind in drei einzelne Abschnitte gegliedert, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben. Anfangs sind sie oft zu verwirrend, als dass ich sie deuten könnte. Aber sie weisen immer auf Dinge hin, die später wirklich geschehen. Als ich zum Beispiel Raine begegnete, fühlte ich mich wegen der Bänder, die er bei sich hatte, zu ihm hingezogen. Ich hatte von ihnen geträumt, von dem, was sie mir anboten, und das war …« Da Raine ihre Liebe abgewiesen hatte, widerstrebte es ihr, vor seinem Bruder darüber zu sprechen. »Etwas Gutes«, schloss sie ausweichend.
»Kurz bevor ich herkam«, fuhr sie fort, »begann eine weitere Traumfolge. Der erste Teil erfüllte sich in Venedig.« Sie stockte, als sie an ihre tote Mutter dachte, redete dann aber eilig weiter. »Der Zweite handelte von blauen Strümpfen, und am Ende war ich in einem Maischbecken voller roter Trauben, was mir blaue Füße und Beine bescherte, also quasi Strümpfe, wenn man es genau bedenkt. Womit nur noch der dritte Teil der Vision bleibt, und sobald der sich erfüllt hat, wird sich sicherlich die nächste Dreierfolge einstellen.«
»Welches ist die dritte Vision?«, fragte Raine.
Sie blickte sich um und senkte ihre Stimme. »Ich werde in einen Park gelockt, in diesen hier. Es ist allerdings dunkel. Nacht. Da sind weiße Säulen, Statuen und Altäre wie diese hier.«
»Erzähl weiter!«, verlangte Nick.
»Irgendwo ist auch eine Schlange. Ich will nicht zu ihr gehen, aber sie möchte mir etwas geben – ein Geschenk, das ich jedoch nicht will. Trotzdem lockt die Schlange mich immer näher. Wenn ich das Geschenk annehme, muss ich irgendeine Pforte öffnen und sie hineinlassen. Fragt mich nicht, wer ›sie‹ sind, denn das weiß ich nicht.«
»Wie erscheint dir die Schlange in deinem Traum? Wie sieht sie aus?«, erkundigte Raine sich.
Jordan hob und senkte die Schultern. »Wie eine Schlange eben. Sie windet sich, hat eine schnellende Zunge, bohrende Augen. Ganz und gar schlangenartig, wie gesagt.«
»Haben ihre Schuppen ein bestimmtes Muster?«, wollte Nick wissen.
»Jetzt, wo du es erwähnst, fällt mir ein, dass sie gar keine Schuppen hat. Sie ist ganz glatt. Und schwarz. Was glaubt ihr, hat das zu bedeuten?«
»Offensichtlich bist du eine Empfangende«, antwortete Jane mit einem schläfrigen Blinzeln. »Nur wenige besitzen diese Anderweltgabe.«
Jordan verdrehte die Augen. »Wohl eher ein Fluch. Und was ist eine Empfangende?«
Raine und Nick tauschten vielsagende Blicke.
»Für die Nachkommen Feydons dürfte sie ziemlich kostbar sein«, schätzte Nick, »und das nicht bloß, weil sie sich von ihr stärkeren Einfluss in der Erdenwelt versprechen.«
Raine überlegte kurz. »Siehst du deinem Vater ähnlich?«
Jordan zupfte an einer ihrer schulterlangen Locken und fragte sich, wohin das alles führen sollte. »Nicht besonders. Ich habe ihn nie kennengelernt,
Weitere Kostenlose Bücher