Die Nacht des Schierlings
Momme es zugeflüstert, laut genug, um es bis in die Offizin zu hören. Er war ein Tölpel.
Jungfer Runge als Mommes Frau. Wie konnte sie dem nur zustimmen? Sie war doch ein kluges Mädchen, dazu wirklich hübsch, von warmer Seele und nicht arm. Es musste viele geben, die um sie warben, Bessere, ganz sicher Wohlhabendere als ein Apothekergeselle. Momme Drifting, beschloss Leubold, erlag nur einer großen Illusion. Der Gedanke erleichterte ihn ungemein. Eine große Illusion. Genau das war die Erklärung. Leider kein Trost, denn er selbst war ein noch weniger geeigneter Kandidat: fast doppelt so alt und, wenn kein Wunder geschah, wohl mit dem Jahreswechsel bankrott. Aber …
Da war er eingeschlafen, auch ohne Laudanum.
I rgendwie hatte Gerrit Leubold es in dieser Nacht doch noch bis in sein Bett geschafft. Er konnte sich nur vage erinnern, wie er noch einmal halbwegs aufgewacht war. Die Kerze war längst heruntergebrannt, und es war dunkel, er lag immer noch in seinem Sessel, sitzen konnte man das nicht nennen, und hatte sich endlich doch noch zu den wenigen Schritten in die Schlafkammer aufgerafft. Jedenfalls war er am Morgen in seinem Bett erwacht. Es war kein gutes Aufwachen. In seinem Kopf dröhnten die ganz großen Schmiedehämmer, seinen schmerzenden Augen war ihr Platz in seinem Kopf viel zu eng, ihm war übel, und als er sich aufsetzte, drehte sich die Welt. Als er es eine halbe Stunde später noch einmal versuchte, ging es besser. Ein bisschen besser, der Schwindel war nun erträglich.
Die Vorstellung, seinen Kopf unter den breiten, eiskalten Strahl einer Pumpe zu halten, war köstlich. Leider war das unmöglich, in Hamburg, dieser zum Teil auf Flussinseln erbauten Stadt, lieferten die wenigen Brunnen und Pumpen nur spärlichen Strahl. Zum ersten Mal dachte er, es sei womöglich doch keine völlig verrückte Idee, in der Alster schwimmen zu gehen. Aber zum einen konnte er nicht schwimmen, zum anderen war das so spät im Jahr eine sehr schlechte Idee, erst recht bei Regen. So goss er wenigstens den ganzen Inhalt der großen Wasserkanne über seinen Kopf in die Waschschüssel, wusch sich und zog reine Kleider an.
Ganz kurz überlegte er, ob sein wirrer Kopf ihm einen falschen Tag vorgaukelte, aber die Geräusche vom Hof und vom Gänsemarkt klangen keinesfalls nach einem friedlichen Sonntag, es war Montag, und er war spät dran. Tröstlich war immerhin, dass die Hammerschläge nicht nur in seinem Kopf dröhnten, der Hufschmied beim nur wenige Schritte entfernten Englischen Reitstall war längst emsig.
Am Tisch in der Diele, an dem in diesem Haus die Mahlzeiten eingenommen wurden, weil die Küche zu klein war und anderer Raum nicht zur Verfügung stand, saß Friedrich und stocherte in etwas herum, das nach mindestens vor einem Tag kalt und fest gewordener Grütze aussah.
Dies war einer der seltenen Morgen, an denen Leubold lieber allein gewesen wäre. Andererseits hatte Friedrichs vertrauter Anblick – sein über den Ohren abstehendes weißes Haar, die flinken Augen hinter den Gläsern im billigen Drahtgestell, die stets verfärbten Fingerspitzen, der schmuddelige Kittel – etwas Beruhigendes. Heute hatte er sich offenbar sogar rasiert, ungewöhnlich für einen Montag, und sich geschnitten, ein bisschen Blut klebte noch an seiner Wange. Wäre Leubolds Kopf nicht nur eine dumpfe wabernde Masse, würde er den alten Mann nun darauf hinweisen, er fand den Anblick blutiger Schrammen am Frühstückstisch unappetitlich.
«Aha», sagte Reuther, «mein Herr Neffe ist auch mal aufgewacht. Was ist heute los?» Er blinzelte Leubold prüfend an, seine Augenbrauen hoben sich amüsiert. «Ich hab’s mir schon gedacht, als ich die halbleere Flasche sah. Falls du sie suchst, ich habe sie in den Giftschrank gestellt. Aber mir scheint, schon die Erwähnung lässt dein Gesicht noch grüner werden. Ich nehme an, du willst nichts essen, solltest du aber. Oder auch nicht, diese trockene Grütze kaut sich wie brüchiges Leder, nicht zu empfehlen, wenn du sie mit heißem Wasser verrührst und ein paar Kümmelkörner drüberstreust, vielleicht auch Koriander, dann mag es gehen. Corinna sollte das Getreide zukünftig feiner schroten.»
Leubold setzte sich, stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Er hätte jetzt gerne seine Ruhe gehabt. Es ging ihm schlecht, und dazu schämte er sich. Wenigstens war er in seiner Trunkenheit allein gewesen und hatte sich nicht öffentlich blamiert. Er lauschte auf Geräusche in
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