Die Nacht des Schierlings
Punktum. Die Meisterin hatte nicht auf die Backstube geachtet, sie hatte ihren neuen Mann und Meister gewähren lassen, wie er wollte, Molly würde es nun besser machen.
«O weh.» Molly stand vor ihr, Mehl auf der Wange und an der das Haar umschließenden Haube, die sie in der Backstube für gewöhnlich trug. «Das hatte ich ganz vergessen. Ich wollte gerade den Krokant vorbereiten.» Sie nahm Elwa die Schüssel ab, schon in der Diele drehte sie sich noch einmal um. «Weißt du, wo Ludwig so lange bleibt? Er sollte nur ein Säckchen Mandeln holen. Das kann doch nicht so lange dauern.»
Elwa zuckte die Achseln. «Wird schon gleich kommen. Er wollte sie direkt von Bröckers Speicher holen, vielleicht muss er warten. Er hat noch was gemurmelt, ich hab nicht drauf geachtet. Ich glaub, er soll was für die Meisterin holen. Doch, jetzt weiß ich’s wieder. Kampferbalsam. Der Kummer macht ihr wohl Kopfweh. Ach ja», seufzte Elwa, «der Kummer.»
Molly nickte und bemühte sich, ihre Ungeduld zu verbergen. Voller Tatendrang hatte sie sich vorgestellt, in der Backstube werde nun von früh bis spät emsiges Treiben herrschen. Das war vorschnell gewesen, natürlich brauchte alles seine Zeit, auch die Trauer. Wenn erst der zweite Geselle da war, würde es schon besser vorangehen.
Sie drückte das Klümpchen aufgequollenen Tragant in einem Tuch aus, gab es in eine größere Schüssel, dazu die nötige Menge staubfein gemörserten Zucker, Eiweiß – die Dotter hatte Elwa in der Küche abgetrennt und für einen anderen Teig verwendet – und begann zu kneten, mindestens eine Viertelstunde, besser länger. Sie hatte es so oft getan, dass sie nicht auf die Schläge der Uhr aus der Diele achten musste, auch erkannte sie an der Beschaffenheit der Masse genau, wann es gut war. Auch wenn sie zu lange geknetet hatte, denn dann wurde der Teil, zu fest, um ihn noch zu Figuren zu formen oder in die fein gearbeiteten Model zu drücken. Wenn sie dann schnell war, half es, mehr Tragant unterzumischen. Heute nicht, sie hatte alles, was Elwa gestern Abend im Rosenwasser angesetzt hatte, in die Schüssel getan und mit dem Zucker und Eiweiß vermischt, heute musste es gleich gelingen. Aber das tat es immer. Jedenfalls wenn sie ihre Gedanken beisammenhielt und darauf achtete, was sie tat und was getan werden musste. Nach dem gründlichen Kneten wurde der Teig fein ausgerollt und die hauchfein mit Stärkemehl bestreuten Model, damit die Zuckermasse nicht daran festklebte, hineingedrückt. Akkurat, damit sich die Muster und Figuren gut darstellten. Auch ihre Hände bestäubte sie dann mit dem Stärkemehl. Heute hatte sie sich für verschiedene Blütenformen, Muscheln, Sterne und Schmetterling, Fisch, Reliefs der Michaelis- und der Nikolaikirche und drei verschiedene Schiffe in vollen Segeln entschieden. Und dabei festgestellt, dass ihr die alten Model nicht mehr reichten. Sie wollte neue, andere, die der heutigen Kundschaft besser gefallen würden, sie musste darüber nachdenken. Und schauen, was in anderen Konditoreien angeboten wurde. Eigentlich wusste sie kaum, wo sie anfangen sollte, es gab so viel zu tun, so viel zu entscheiden, und es machte ihr große Freude.
Wenn die Zuckermasse getrocknet war, nicht über dem Feuer, die Gefahr, der Zucker werde schmelzen und bräunlich werden, war zu groß, sondern in der Darre, wurden sie aus den Formen geklopft und möglichst schnell verkauft, damit sie nicht klebrig wurden. Aber mit dem Tragant dauerte das eine Weile. In einigen Tagen wollte sie die nächsten Figürchen machen, dann aber mit gefärbtem Zucker, und sich endlich wieder an Körbchen und Tischschmuck für vornehm gedeckte Tafeln versuchen. Und wenn das übrige Konfekt, das sie für den Kaiserhof bereiten musste, und einige Schachteln für drei andere gute Gasthäuser zur Probe, wenn ihr all das Zeit ließ, Neues auszuprobieren, würde sie auch das schaffen.
Eine neue Kundin hatte sich gestern gemeldet, eine Madam Junius, Franziska Junius, eine strenge, überaus elegante Dame, einen bis auf die weißen Seidenstrümpfe und Perücke ganz in Schwarz gekleideten Diener immer einen Schritt hinter sich. Molly hatte sie nie zuvor gesehen, so reiche Herrschaften kannte sie kaum, auch bei den Herrmanns war ihr die Dame nicht begegnet, obwohl dort die ersten Familien der Stadt und etliche der hier lebenden wohlhabenden Fremden verkehrten. Aber sie kam auf Empfehlung Madam Augustas, also musste sie den Herrmanns bekannt sein, führte ein großes
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