Die Nacht des Schierlings
sie so lange zu behalten, bis er nach den ersten Vorstellungen im Dragonerstalltheater seine Gage bekam.
«Ging es um die aus Sachsen-Gotha?», fragte Wagner.
Rosina sah Muto fragend an, der nickte.
Rosina seufzte. «Die schöne Medaille von der Herzogin. Die ist mehr als eine einfache Münze. Die hast du Drifting geben müssen? Es ist eine Schande.»
Sie hätte gerne auf das Kartenspiel geschimpft, dazu war nun wirklich nicht der passende Moment, außerdem spielte sie selber gerne ein Blatt, allerdings verlor sie selten.
Aber dann sei er doch wieder fortgegangen.
«Warum?», fragte Wagner.
Muto senkte den Kopf und schwieg.
«Warum?», fragte auch Rosina und dann leiser: «War es dir peinlich? Ging es gegen deinen Stolz, ihn um so etwas zu bitten?»
Muto nickte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine Lösung gab, nämlich möglichst schnell etwas zu verdienen und Drifting genug zu bieten, um die Medaille zurückzubekommen. Deshalb war er wieder gegangen, es regnete, der Wind war kalt, warum sollte er dort herumstehen? Er war, genauso wie es Titus und diesmal auch Fritz bezeugt hatten, die ganze Nacht in ihrer gemeinsamen Kammer im Haus der Krögerin.
Da hatte Rosina noch eine Idee. «Helena hat gesagt, Florinde war an dem Abend auch nicht bei ihnen, sie kam wie du erst spät zurück. Kann Florinde bezeugen, was du gesagt hast?»
Florinde, bedeutete er ihr, nun wieder ohne hörbare Sprache, Florinde gehe eigene Wege. Wenn sie nicht bei den Komödianten sei, mit ihnen probe oder im Haus der Krögerin – wisse er nicht, welche Wege. Es sei ihm einerlei. Das glaubte allerdings niemand, nicht einmal Muto selbst.
Ein bisschen später am Abend, erklärte er weiter, hatte er noch einmal aus dem Fenster gesehen, weil das Hoftor geknarrt hatte. Zuerst hatte er gedacht, es sei der Wind gewesen, aber da hatte er sie herein und über den Hof huschen sehen.
Allein? Mitten in der Nacht?
Es sei nicht sehr spät gewesen, so um zehn Uhr herum. «Und nein», fuhr er zögernd und heiser fort, «nicht allein. Jemand hat das Tor hinter ihr geschlossen. Auf der Straße. Der ging eilig weg.» Er habe es vom Fenster aus gesehen, ein Mann, gegen den Regen ins Gesicht gezogener Dreispitz, schwarzer Umhang.
«Warum Muto?», fragte Rosina, als sie wenig später wieder in dem schmalen Raum nahe dem Kerker standen, der Wagners kärgliche Amtsstube gewesen war, bevor er ins Rathaus umziehen durfte. «Nur weil er mal mit Hofmann und Drifting Karten gespielt und gestritten hat?» Sie bemühte sich, ihre Stimme zu dämpfen, um den zweifellos an der Tür lauschenden Ohren keinen Anlass zum Spott zu geben, wenn sie es gegenüber dem Weddemeister mal wieder an der gebotenen Unterwürfigkeit fehlen ließ. «Sicher, er hat sich mit Hofmann wegen Florinde angelegt, aber das waren doch Kleinigkeiten. Wenn er Hofmann umgebracht hätte», sie merkte, wie sie das Wort «getötet» mied, erst recht «ermordet», «dann wäre es von ihm dumm gewesen, in der Stadt zu bleiben. Wärt Ihr etwa nach so einer Tat geblieben? Das wäre fast, als bliebe man neben seinem Mordopfer hocken», da war ihr das Wort doch noch entschlüpft, «und warte, bis der Weddemeister einen am Kragen packt und in die Fronerei schleppt.»
Wagner stieß kurze, ungehaltene Schnaufer aus. Ihn mit einer solchen Tat in Verbindung zu bringen, ihn, Adam Wagner, war eine unerhörte Vorstellung. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, hätte er Rosina gerne vor die Tür gesetzt. Ruck, zuck vor die Tür. Aber gerade weil er sie kannte, wusste er, dass das alles nur noch ärger machen würde. Muto war für sie immer noch wie ein kleiner Bruder, er verstand ihre Erbitterung nur zu gut. Also wollte er ihren Zorn über sich ergehen lassen und dann weiter seine Arbeit tun. Es war ganz einfach.
«Er wurde am Millerntor erwischt, ja, direkt am Tor, dort, wo es rüber nach Altona geht, über die Grenze.» Endlich kam das große blaue Tuch zum Einsatz, diesmal rieb Wagner sich allerdings nur heftig die Hände ab.
«Ja, aber erst mal sollte es zum Hamburger Berg gehen, er wollte Matti und Lies besuchen, Ihr kennt die beiden alten Frauen doch selbst, Wagner, das war keine Flucht. Wenn er gleich morgens beim Öffnen der Tore hinausgewollt hätte, womöglich durchs Steintor auf dem Weg zur Fähre über die Elbe – aber so? Ihr wärt vielleicht auch nach einer solchen Tat geblieben», spann sie ihren Gedanken von diesem absolut unpassenden Vergleich ruppig weiter, «aber aus anderem
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