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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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wieder aus. Es geht», sie schluchzte heftig auf, «es geht doch um sein Leben.»
    So waren sie losgerannt. Magnus war ausgegangen, Pauline bereitete in der Küche die Abendmahlzeit und konnte ihm sagen, Madam Vinstedt sei in die Fronerei gelaufen. Er werde dann schon wissen …
    Wagner schob sich hinter Rosina in den Kerker und machte dem neugierigen Fronknecht die Tür vor der Nase zu. Er stellte die Laterne auf das grobgezimmerte hölzerne Gebilde, das als Tisch fungierte, und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
    «Er soll endlich reden», forderte er, «bisher hat er es verweigert, der dumme Junge. Sagt ihm, direkt unter diesem Kerker ist eine andere Kammer, die heißt Marterkammer. Was das bedeutet, weiß jeder.» Wagner verabscheute schon den Gedanken an die Folter und glaubte längst nicht mehr daran, dass sie der Wahrheit auf die Sprünge half. Er war froh, dass er damit nicht allein war und sie in dieser Stadt nur noch höchst selten und ausschließlich mit Erlaubnis des Rats vom Fron durchgeführt wurde. Als Drohung fand er die Folter jedoch ein fabelhaftes Mittel.
    «Ihr könnt es ihm selbst sagen. Er spricht wenig, aber er hört sehr gut. Hast du das gehört?», wandte Rosina sich an Muto. «Lass es nicht so weit kommen. Nein, nicht mit den Achseln zucken, es ist nicht alles einerlei, du bist noch nicht verurteilt. Sei nicht so selbstmitleidig, das schadet nur dir selbst. Wir reden jetzt, du erzählst, was der Weddemeister wissen muss. Du musst antworten, egal auf welche Weise, Muto», fügte sie so leise hinzu, dass Wagner es mehr vermutete als verstand, «du kennst ihn, tatsächlich ist er nicht dein Feind, auch wenn es jetzt so scheinen mag. Ärgere dich nicht über die Fragen und sei nicht beleidigt, auf die Fragen kommt es nicht an, sondern auf die Antworten. Deine Antworten.»
    Sie drückte ihn zurück auf die Holzpritsche mit dem Strohsack und setzte sich neben ihn, weit genug auf die Kante, um in sein Gesicht sehen zu können.
    Es dauerte nicht lange. Muto stritt entschieden ab, am Tod der beiden Männer schuldig zu sein. Ja, es stimmte, vor einiger Zeit war er mit Hofmann aneinandergeraten, sie hatten ein paar Faustschläge ausgetauscht, das schon, aber weder hatte er ihn im Fleet erstickt noch Momme Drifting später vergiftet.
    «Wie denn vergiftet?», fragte er. «Womit?» Er kenne sich nicht aus mit Giften. «Woher denn?»
    «Mit Schierling zum Beispiel. Ist leicht zu finden, das Zeug. Selbst wenn stimmt, was er sagt, war er immerhin zu Matti unterwegs», sagte Wagner zu Rosina gewandt, «die ist nicht nur Hebamme, sondern hat auch einen großen Garten und ist eine halbe Apothekerin. Und die alte Lies», fuhr er streng fort, «Zauberkräuter, Kaffeesatz – mit solcherlei Dingen kennt sie sich aus. Denkt Ihr, ich habe das vergessen? Da draußen auf dem Hamburger Berg konnte er viel lernen. Oder abpflücken und einstecken.»
    «Das ist Unsinn», erklärte Rosina, «Muto hat sich nie für Pflanzen interessiert, er hat keine Ahnung, was giftig ist oder nicht.»
    Muto gestand zu, in beiden Nächten in den Straßen unterwegs gewesen zu sein. Er lief oft so herum, er mochte die Nacht, das Geheimnisvolle. Aber er war weder dem einen noch dem anderen Mann in ihren Todesnächten begegnet.
    Man habe ihn aber gesehen, beharrte Wagner, auch gestern Abend im Opernhof. Er sei da herumgeschlichen, das Theater sei zurzeit geschlossen, also wozu, wenn nicht um Drifting zu treffen?
    Auch das gestand Muto zu. Weil er nicht als einer hatte dastehen wollen, der nicht bezahlen kann, hatte er dem Drifting neulich eine kleine Spielschuld mit einer viel zu wertvollen Münze bezahlt, die er zurückhaben wollte. Er hatte aber nicht genug verdient, das heißt wohl genug verdient, aber Florinde habe das ganze Geld, das sie auf den Straßen bekommen hatten, behalten, sie brauchte dringend – ach, irgendwas.
    «Er redet ja», sagte Wagner an diesem Punkt.
    «Ja», sagte Rosina, «ich sagte es doch. Aber nur, wenn es unbedingt nötig ist. Er ist fast sein ganzes Leben ohne laut gesprochene Sprache ausgekommen.»
    «Und was war dann mit der Münze?» Endlich sprach Wagner Muto direkt an. «Hast du sie dir geholt?»
    Muto schüttelte den Kopf. Er hatte sich auch nicht lange im Opernhof aufgehalten, er hatte Drifting die Stiege hinaufgehen sehen und überlegt, was er tun könnte. Wenn er kein Geld hatte, konnte er die Münze nicht zurückfordern, nicht auslösen, aber er konnte zu Drifting hinaufgehen und ihn bitten,

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