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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Grund. Ihr seid hier in der Stadt zu Hause, dort draußen, weit außerhalb der Mauern, wisst Ihr gar nicht, wohin Euch wenden und wie überleben. Aber wir – ich meine, Muto kennt sich dort aus. Er ist das Leben auf den Straßen gewöhnt, mehr als das Leben hier in der Enge und nur vermeintlichen Sicherheit. Hier ist es sicher? Glaubt mir, es scheint nur so. Hier ist nichts sicher. Aber wer wüsste besser als der Weddemeister, welche Gefahren diese große, labyrinthische Stadt bereithält. Nun sogar nach zwei Morden eine mörderische Verleumdung.» Sie erhob sich und sah wütend auf ihn hinunter. «Muto hat das nicht getan, er ist unschuldig. Ihr verschwendet mit ihm nur Eure Zeit.»
    «So einfach ist es aber nicht, Rosina, nein, nicht einfach. Wahrlich nicht. Ihr sagt, Muto ist nicht dumm. Ihr sagt, er hätte längst die Stadt verlassen, wenn er … nun ja, das mag sein. Aber seht es mal anders: Ich sage, es wäre, nein, es ist besonders schlau, gerade das nicht zu tun. Das, was alle erwarten.»
    Wagner fühlte sich hundeelend. Die meisten der Argumente, die Rosina gerade für Muto und gegen ihn, den Weddemeister, ins Feld geführt hatte, hatte auch er vor dem Weddesenator vertreten. Nicht ganz so vehement, van Witten war immerhin sein Dienstherr, überhaupt eine gewichtige Autorität, und anders als Rosina war der Senator für ihn eine doppelte Respektsperson. Ja, auch er hatte diese Überlegungen gehabt, ohne Erfolg.
    «Es stimmt genau», fuhr er fort, seinen Ärger nur mühsam im Zaum haltend, «der Junge ist nicht dumm. Aber er ist aufbrausend, eifersüchtig, gedemütigt. Ja, das ist er. Dafür gibt es Zeugen. Er hat die Gelegenheiten gehabt, war jeweils in der Nähe und hat kein verlässliches Alibi. Weder für die eine noch für die andere Tatnacht. Das war letztlich ausschlaggebend.»
    «Woher wusstet Ihr eigentlich von der Münze? Ich meine, dass es eine Medaille aus Sachsen-Gotha war?»
    «Ist, eine Medaille ist . Weil ich sie bei Drifting in seiner Kammer auf dem Fußboden gefunden habe und wusste, dass Muto so eine in Gotha bekommen hat. Irgendwer hat es im Bremer Schlüssel erzählt. Solche Münzen – erst recht Medaillen – gibt es hier nur selten. Ich habe eins zum anderen gezählt, ja», er räusperte sich und wischte mit seinem blauen Tuch über den Mund, «zum andern gezählt, das waren dann zu viele Verdachtsmomente gegen den Jungen. Ich dachte allerdings, nun, ich dachte, er war dort und hat sie verloren. Es wäre von Vorteil», fügte er leise und mit einem raschen Blick nach der Tür zur vorderen Wachstube hinzu, «wenn man jemanden fände, der gesehen hat, wie Muto dem Drifting das Ding gegeben hat. Hofmann ist tot, ja, leider, der mag dabei gewesen sein, aber vielleicht ein anderer. Obwohl, anders gesehen, wäre das für manchen erst recht ein weiterer Punkt für seine Schuld. Ja, man kann schon mörderisch zornig werden, wenn man etwas so Unersetzliches wie dieses Geschenk hergeben muss. Das kann man wirklich.»
    Rosina ließ sich auf einen der beiden Schemel sinken, plötzlich fühlte sie sich furchtbar mutlos.
    «Und der Apotheker?», fragte sie matt. «Verdächtigt Ihr Leubold nicht? Wenn sich irgendjemand mit Giften auskennt, dann doch er.»
    «Kein Anlass», sagte Wagner knapp. «Keinen Grund, erst recht nicht bei Hofmann.»
    «Das ist dünn, Wagner, oder?»
    Wagner wippte auf die Fußspitzen, schnippte ein Stäubchen vom Rock und sagte: «Nun ja. Vielleicht. Noch ist nicht, ja, nicht aller Tage Abend.»
    Was immer er damit meinte, Rosina wusste, er würde dazu jetzt nicht mehr sagen. «Und der Mann, den Muto gesehen hat? Der in den Opernhof kam, als er ihn gerade verließ?»
    «Tja, der Mann. Runder schwarzer Hut, langer schwarzer Mantelumhang. So sehen viele Männer in der Nacht aus, die meisten, besonders bei Regen. Wie soll man wissen, wer das war und wo er zu finden ist? Da im Hof leben viele Menschen, und einen Durchgang zum Kalkhof und zur Dammtorstraße gibt es auch.»
    Beide schwiegen. Und beide spürten, wie die stürmische Stimmung nachließ. Leider wich sie keiner frohen, sondern einer bedrückten Stimmung.
    Rosina erhob sich, sie hatte gehofft, Magnus werde sie abholen, aber es wurde Zeit zu gehen, draußen wartete Helena auf Nachricht.
    «Wenn Ihr Muto als Täter verdächtigt, doch vor allem, weil er beide kannte, mit beiden Karten gespielt hatte und mit beiden – ein Problem hatte?» Als er halbherzig nickte, fuhr sie fort: «Da war er sicher nicht der Einzige. Ihr

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