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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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seid ein gründlicher Mensch, Wagner, Ihr werdet nach anderen möglichen Tätern gesucht haben.» Plötzlich erhellte sich ihre Miene. «Wieso seid Ihr überhaupt sicher, dass beide Männer Opfer desselben Täters geworden sind? Womöglich gibt es da noch eine ganz andere Spur.»
    Wagner seufzte abgrundtief, denn auf diese Frage hatte er gewartet. Sie beunruhigte ihn selbst zutiefst.
    «Womöglich, ja. Andererseits, Drifting war einer der wenigen Männer, mit denen Hofmann sich traf, der Einzige, mit dem er sich regelmäßig im Gasthaus traf. Jedenfalls ist von keinem anderen zu hören. Und dann innerhalb einer Woche beide tot. Beide auf, nun ja, auf eine Weise, die nicht auf Straßenraub schließen lässt. Nicht auf – ich meine, nicht auf Folge einer zufälligen Begegnung. Und dann –» Er rieb mit den Fingerspitzen beider Hände heftig die Stirn, als könne er so seine durcheinandergeratenen Gedanken ordnen.
    «Und dann?» Rosina hätte ihn gerne geschüttelt.
    «Dann ist mein Eindruck, dass Hofmann auch nicht nur im Schlick erstickt worden ist. Womöglich hat er auch etwas, nun, etwas Unbekömmliches gegessen.»
    «Ihr meint, er wurde auch vergiftet?»
    «Womöglich. So wie Monsieur Herrmanns seine Begegnung mit Hofmann in der Nacht kurz vor dessen Tod beschrieben hat, wie der im Schlick lag – es kommt mir so vor, ja. Es ist einfach zu vertrackt», stieß er mit plötzlicher Heftigkeit hervor, «seit Jahrhunderten versuchen Männer Gold zu machen, was sicher ausgemachter Blödsinn ist, viele versuchen es trotzdem weiter. Sie täten besser daran, eine Methode zu finden, in einem Leichnam Vergiftungen nachzuweisen. Die Chymisten haben doch alles Mögliche gefunden, was für das Auge unsichtbar in der Luft ist, im Wasser, im Blut, in jeglicher Materie. Aber so etwas Simples, wie ich und die Männer meiner Profession es alle Tage brauchen, danach sucht keiner. Zumindest», schloss er grimmig, «hat es noch keiner bekannt gemacht.»
    «Wenn es stimmt, wenn beide vergiftet wurden – wie sollte Muto das angestellt haben? Wagner, das ist doch verrückt. Es muss noch etwas anderes geben, nämlich ein stichhaltiges Motiv. Darüber müssen wir nachdenken.» Sie wollte noch etwas sagen, Wagner sah es, aber sie entschied anders. Er war es zufrieden und überlegte einen Moment, ob er richtig gehört hatte, dann war er sehr erleichtert. Sie hatte «wir» gesagt – ein gutes Zeichen.
    Im Vorraum saß Magnus Vinstedt auf der langen Bank an der Wand, ein Bein elegant über das andere geschlagen, und betrachtete mit bewunderndem Blick eine wulstige, anderthalb Handspannen lange Narbe auf dem Arm des Fronknechts, während er offenbar gespannt der dazu passenden Geschichte lauschte, wie nämlich der Knecht gleich drei Straßenräubern auf einsamer Heide Paroli geboten hatte. Leider kamen Rosina und Wagner, bevor auch der dritte blutig in die Flucht geschlagen war. Diskret schob Magnus dem Knecht eine nicht zu kleine Münze zu, bevor er Rosinas Arm nahm, sie fest an sich zog und hinausführte. Der Mann würde Muto in der Hoffnung auf weitere Münzen gut behandeln und ihm auch den Krug Bier aus dem nur wenige Schritte entfernten Gasthaus holen, den Magnus ihm schon zuvor in Auftrag gegeben und bezahlt hatte. Mehr war jetzt nicht möglich.
    Draußen wartete Helena, auch Jean war gekommen, er ließ seine Frau niemals bei Dunkelheit alleine durch die Straßen gehen.
    Rosina berichtete rasch und machte dabei alles ein bisschen hoffnungsvoller, als es tatsächlich war. Dann umarmte sie Jean, der bleich und grau aussah. Es war etliche Jahre her, seit er selbst in Angst vor dem Galgen in diesem Kerker gesessen hatte, doch die Erinnerung daran hatte ihn nun eingeholt, als sei es gestern gewesen.
    Als sie Helena und Jean in der Großen Johannisstraße davongehen sah, erschien es Rosina falsch, sie nicht zu begleiten, nicht bei ihnen zu sein und es auch zu bleiben. Sie hatten keine eigenen Kinder, und vielleicht spürten sie erst jetzt, in diesen schweren Tagen, wie viel Muto ihnen bedeutete. Aber sie hatten einander, und sie hatten ihre Komödianten, die im Haus der Krögerin auf sie warteten, ungeduldig, endlich Nachricht von Muto zu bekommen. Trotzdem wäre sie ihnen gerne nachgelaufen.
    «Komm, Liebste.» Magnus schlüpfte aus seinem Rock, hängte ihn Rosina über die Schultern und schloss fürsorglich zwei Knöpfe, er war viel zu groß, aber er gab ihr Magnus’ Wärme, und das war der Trost, den sie brauchte. Er blickte sie besorgt

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