Die Nacht des Schierlings
Seine Sprache war eilig, den französischen Akzent hielt Molly für echt. Etliche Franzosen lebten in der Stadt, es stand nicht so gut in Frankreich, und manche hatten hier schon seit einigen Generationen Verwandtschaft, Hugenotten zumeist.
Er ließ von einem blassen jungen Diener in schwarzer Livree Wasser bringen. Nur Wasser, betonte er, gutes von den Feldbrunnen vor der Stadt, damit nichts den Geschmack des Konfekts beeinträchtige. Dann hatte er sich ihr gegenüber gesetzt, die sauberen, gut manikürten Hände vor sich auf dem Tisch übereinandergelegt und sie erwartungsvoll angesehen. Molly war entzückt gewesen und sich sehr wichtig vorgekommen, was ein ungewohntes Gefühl war.
Sie hatte das Konfekt, das Monsieur Rivière zur Probe bestellt hatte, nur abliefern wollen. Und nun war der Tag schon so weit fortgeschritten, dass sie sich beeilen musste, wenn sie zur versprochenen Zeit zu Hause sein wollte. Aber Monsieur wollte dies und jenes wissen, probierte mit zierlichen kleinen Bissen von jedem Stück, fragte nach den Zutaten, nickte aber durchaus zustimmend, wenn sie nicht alles preisgab.
«Ein guter Koch muss seine Geheimnisse haben, ein guter Konditor auch. Wie eine schöne Frau», erklärte er mit charmantem Neigen des Kopfes und knabberte an dem letzten, noch nicht probierten Praliné. «Wirklich délicieux , Mademoiselle. Euer Konfekt», sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, «ist merveilleux . Wir werden gute Geschäfte miteinander machen. Wenn Ihr noch ein wenig Zeit erübrigt, notiere ich gleich, was ich brauche. Meine Gäste werden begeistert sei.»
Es schien ihn nicht zu stören, mit einer Frau zu verhandeln, er fragte nicht nach einem Vater oder Ehemann.
Während er die Notizen überflog, die er während des Probierens gemacht hatte und nach einem neuen Bogen griff, um seine erste Bestellung aufzulisten, beobachtete Molly die Vorgänge am Empfang, um ihre Aufregung über ihren Erfolg im Zaum zu halten. Sie kannte die besseren Gasthöfe in der Stadt, die sie mit ihrer Ware belieferte, aber sie war nie zuvor in einem wie diesem gewesen. Vielleicht glich es den besten Häusern in Paris, dachte sie und unterdrückte einen sehnsüchtigen Seufzer, oder in London.
Ein elegantes Paar betrat die Diele, sie hörte den Herrn schnelle italienische Worte mit dem Diener wechseln, der ihre Koffer hinauftragen sollte, und war verblüfft. Wenn hier sogar die Diener Italienisch sprachen! Zwei andere Herren in langen schwarzen Mantelumhängen und hohen, schwarzglänzenden Uniformstiefeln durchquerten die Diele, beide trugen frischgepuderte Perücken für offizielle Besuche, die Dreispitze unter dem Arm, sie grüßten zum Empfang und traten hinaus auf die Straße.
Nun kam noch jemand die Treppe herunter, ein schlanker junger Mann im nachtblauen Seidenrock über schwarzen Kniehosen und Strümpfen, einen zierlichen Degen am Gürtel, der Silbergriff glänzte, ein Umhang gegen das kalte Wetter lag über seinem Arm. Sie blickte neugierig in das Gesicht über der spitzengesäumten Halsbinde – und errötete. Sie hatte gedacht, niemand werde es bemerken, wenn sie aus ihrer Ecke heraus die Gäste beobachtete, immerhin waren es die Menschen, die bald ihr Konfekt essen würden. Doch nun traf ihr Blick den des Gastes, der den Fuß der Treppe erreicht hatte, er stutzte einen Augenblick, Erkennen blitzte in seinen grauen Augen auf, und er verneigte sich mit verbindlichem Lächeln, als sei auch sie ein Gast in diesem vornehmen Haus und nicht nur eine hart arbeitende Konditortochter.
Molly hatte ihn gleich erkannt. Der schöne junge Graf, der sich nicht Graf nennen lassen wollte, den sie im Souterrain der Apotheke beim Opernhof mit dem alten Chymisten gesehen hatte, Monsieur Leubolds Oheim. Es war eine gute Woche her, als es in der Apotheke diese kleine Explosion mit dem gelben Qualm gegeben hatte. Jetzt fiel ihr der Name wieder ein: Graf von Saint-Germain. Oder so ähnlich. Er war der Mann, der angeblich im Besitz des Geheimnisses der ewigen Jugend war. Beinahe hätte sie gekichert.
Kein Wunder, wenn er hier logierte. Seine Kleidung wies ihn als wohlhabenden Mann aus, der sich einen solchen Gasthof leisten konnte – Monsieur Rivière sprach von seinem Hotel, wobei er das H verschluckte –, und die Apotheke war nur wenige Schritte von hier entfernt. Monsieur Rivière war ihrem Blick gefolgt und lächelte auf unbestimmte Weise.
Molly hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Als sie mit einer
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