Die Nacht des Schierlings
in Ihrem Theriak, wenn wir es in meiner Offizin verkaufen.»
«Bedauerlich», murmelte Reuther, «wirklich sehr bedauerlich», und klopfte mit abwesendem Blick auf seinem verheißungsvollen Klumpen herum. Er war jetzt sehr froh, dass er die tüchtige Prise pulverisierten Stierhoden ebenso wenig mit auf die Liste gesetzt hatte wie ein – nun ja, ein geheimes Mittel, dass er nur schwer und dann mit tausend Schwüren zur Verschwiegenheit bekommen hatte. Neffe Gerrit konnte streng sein und war ein ängstlicher Mann, stets befürchtete er, gegen ein Gesetz zu verstoßen, Verbotenes oder bei unwissenden ignoranten Menschen schlecht Beleumundetes zu verkaufen und im Zuchthaus oder am Galgen zu enden. Der Junge hatte ein Hasenherz, da behielt man besser manches für sich.
«Nun gut», sagte er und sah seinen Neffen schon wieder unternehmungslustig an. «Es ist auch so ein großer Wurf, glaube und vertraue mir, das bringt dich ganz gewiss aus deiner Misere. Wenn es vollendet ist, sollst du es besonders deinen wohlhabenden und dem Alter nahen Kunden empfehlen. Es wärmt ihnen die Glieder und stärkt ihren Geist. In Herbst und Winter dreißig bis fünfzig Gran zweimal wöchentlich in einem Schlückchen Wein gelöst, in Lenz und Sommer einmal wöchentlich in Rosenwasser. Am besten früh des Morgens sechs Stunden vor dem Mittagessen. Der reinste Jungbrunnen.»
«Wunderbar. Die Hauptsache, es bläht nicht und führt weder zu Ausschlag noch zu Würmern. Verzeihen Sie, Onkel», sagte Leubold rasch und verneigte sich demütig, «ich will Ihre Kunst nicht kleinmachen. Ich bin Ihnen dankbar, wie immer. Wie sollte ich allein, nun auch ohne Momme, alles schaffen? Aber Sie sagten ‹wenn es vollendet ist›. Es fehlt also noch ein Mittel? Ich hoffe, kein obskures tierisches wie die hübschen kleinen Fliegen, sondern ein pflanzliches. Bei dessen Beschaffung kann ich sicher helfen.»
«Es gibt tierische und menschliche Mittel, keine Sorge, es ist nichts davon. Weiter gibt es pflanzliche – und? Und?»
«Meinen Sie mineralische? Sicher wollen Sie nun erzählen, Sie warten noch auf ein paar Smaragde oder Diamanten aus Ostindien, Lapislazuli aus Russland oder Perlen aus China. Bei Perlen», fügte Leubold launig hinzu, «sollten Sie misstrauisch sein, verehrter Onkel, die Chinesen verstehen sich auf fabelhafte Fälschungen. O nein, bitte, sagen Sie, dass das nicht wahr ist. Bitte.»
Friedrich Reuthers Ausdruck war der Inbegriff des schlechten Gewissens. Nur kurz, dann blickte er seinen Neffen trotzig an. «Smaragde, Diamanten, schön und gut, wirklich hübsche Steinchen. Für meinen Theriak sind die aber nicht die richtigen. Die Farbe stimmt nicht, du weißt doch, die Farbe hat eine große Kraft für die Gesundheit des Leibes wie der Seele, eine wirklich bedeutende Kraft, auch für den Geist. Es geht um einen Rubin, Gerrit, einen winzig kleinen Rubin. Ganz fein pulverisiert, staubfein. Ich hoffe sehr, einer unserer Mörser ist fein genug.»
«Ein Rubin. Winzig klein. Alle Achtung, Onkel, natürlich ist Rubinrot eine wunderschöne Farbe, aber da geht es mir wie mit den Spanischen Fliegen, ich habe keinen noch so winzigen Rubin und leider auch kein Geld für einen Rubin.»
Der alte Friedrich strahlte. «Du hast nichts gegen einen Rubin im Theriak? Da bin ich aber froh! Ich hatte nämlich Sorge, es sei dir zu extravagant. Ja, zu extravagant und exotisch. Doch der edle Rubin stärkt das Herz und die Sehkraft, schützt vor schwarzen Träumen und dem Schwarzen Tod. Und», sein spitzer Zeigefinger fuhr triumphierend in die Luft, «wozu die giftige Spanische Fliege, wenn auch der Rubin der Lust förderlich ist?»
Leubold schwankte zwischen Ärger und hysterischem Lachen, aber er riss sich zusammen und blieb ruhig. «Sicher, aber es wird nicht gehen, Onkel. Einen Rubin, selbst ein winziges Rubinchen, können wir uns nicht erlauben.»
«Papperlapapp, er ist schon so gut wie unterwegs, der kleine rote Wunderstein. Bald ist er hier, dann wird gemörsert und eingeknetet. Ich hatte noch ein kleines Säckchen mit blitzblanken Münzen, du wirst mir meine heimliche Reserve nachsehen, ein alter Mann tut immer gut daran, so etwas zu haben.»
Gerrit Leubold bemühte sich immer noch, Gleichmut zu zeigen. Sein Herz klopfte nun heftig, die Ader an seiner rechten Schläfe schwoll – nun war er wirklich wütend. Er drehte jeden Pfennig um, gab alles, was er erübrigen konnte, für Friedrichs Traum vom Theriak, dessen Wirksamkeit und Erfolg womöglich
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