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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Maria.»
    «Oder Eure Eltern haben das Hemdchen damals gebraucht gekauft oder geschenkt bekommen», schlug Rosina vor, die einen ganz anderen Hintergrund der Geschichte ahnte.
    «Und warum hat meine Mutter dann auf der falschen Initiale bestanden, auf dem R? Sie wurde ganz schroff und ärgerlich, als ich es bestritt. Kann sein, dass der Lauf der Jahre ihre Erinnerung getrogen hat. Aber warum ist es dann verschwunden?» Mollys Stimme wurde heftig. «Warum? Und wie? Es kann nur jemand aus dem Haus genommen haben. Oder denkt Ihr, jemand bricht in unser Haus ein, um am Grund meiner Truhe ein winziges altes Hemdchen zu stehlen?»
    «Sicher nicht. Andererseits – sagt, kennt Ihr einen Luis Sachse? Oder habt Ihr den Familiennamen schon mal gehört?»
    «Nein, ich glaube nicht. Namen kommen und gehen. Warum fragt Ihr? Denkt Ihr – aber nein, es war ein M auch für den Familiennamen. Kein S.»
    Antonia. Rosina hatte es plötzlich sehr eilig, zu Matti zu kommen. Sie erinnerte sich nun wieder ziemlich genau an die Geschichte, die der junge Flößer von der Oberelbe aus der Gegend von Pirna ihr erzählt hatte, als er nach einem Unfall mit dem Holz im vergangenen Winter in der Vorstadt St. Georg geblieben war. Im Frühjahr, kurz bevor er sich wieder auf den Heimweg gemacht hatte, war er bei ihr aufgetaucht. Er wollte sie engagieren, nach seiner verschollenen Base zu suchen, von der er allerdings so gut wie nichts wusste. Die Mutter dieses inzwischen erwachsenen Kindes hatte Antonia geheißen. Leider hatte es keinen echten Ansatzpunkt gegeben, wo man suchen könnte, Rosina hatte sogar geargwöhnt, er wolle das Mädchen nicht wirklich finden.
    Diese Antonia, Tochter eines wohlhabenden Holzhändlers, war mit einem Komödianten oder fahrenden Musikanten, das wusste der Flößer nicht genau, durchgebrannt und hatte in Hamburg oder einer der Vorstädte ein Kind geboren. Sie und ihr Komödiant, wahrscheinlich hatte er Merg geheißen, waren verheiratet, er war aber schon vor der Geburt des Kindes gestorben. Antonias Neffe, ebendieser Flößer Luis Sachse, vermutete allerdings, er habe seine schwangere Frau im Stich gelassen und sei weitergezogen. Antonia hatte ihren Vater – Luis’ Großvater – in mindestens einem Brief um Hilfe gebeten, vergeblich, der war ein harter Mann, für ihn war diese Tochter mit ihrer Flucht gestorben.
    Antonias Mutter, Luis Sachses Großmutter, wiederum hätte ihrem Kind geholfen, aber sie hatte nie von diesem Hilferuf erfahren. So blieb Antonia verschollen, mit ihr das Kind. Nun war der Alte tot, und in seinen Papieren hatte seine Frau einen Brief ihrer verschollenen Tochter gefunden, den mehr als zwanzig Jahre alten Hilferuf, und Luis beauftragt, sich nach dem inzwischen erwachsenen Kind zu erkundigen. Und schlimmer noch – Rosina erinnerte sich nicht mehr genau an die verwickelte Geschichte, Familiengeschichten waren offenbar immer verwickelt –, Antonias Bruder, also Luis Sachses Vater, wusste um das Schicksal seiner Schwester, er wusste auch, dass Antonia einige Zeit nach der Entbindung gestorben war, und hatte geschwiegen.
    Plötzlich passte in Rosinas Kopf alles zusammen. Sie versuchte sich an Luis’ Gesicht zu erinnern. Es gelang ihr nicht, er war hübsch gewesen, aber sonst? Eben ein hübscher junger Mann. Dann fiel ihr noch ein, dass es sich um eine Menge Geld gehandelt hatte, zumindest um das Erbe der Großmutter. Daran würde auch das Kind, nun die junge Frau, die er suchte, ihren Anteil haben. Er war sehr freundlich gewesen, aber ob das seinem wahren Empfinden entsprochen hatte? Wer konnte das wissen?
    Sie standen nun vor Mattis Gartentor. «Eine Frage noch, Molly», sagte Rosina, schon den Riegel in der Hand. «Falls Ihr sie nicht versteht, ich werde nachher erklären, was in meinem Kopf herumgeht, aber bitte, antwortet mir zuerst: Hat Euch in den letzten Tagen, sagen wir in den letzten beiden Wochen, ein Fremder in ein Gespräch verwickelt? Ich meine, du liebe Güte, was meine ich denn? Also, war da ein hübscher junger Mensch, ich glaube mit braunem Haar, ziemlich hochgewachsen, der sich Euch genähert hat?»
    «Ich verstehe wirklich nicht, was Ihr meint.» Molly blickte amüsiert. «Die Antwort ist einfach: Nein. Außer, vielleicht – aber nein, er hat sich mir nicht ‹genähert›. Nein, nur einige Male sehr charmant gegrüßt.»
    «Wer?»
    «Ihr habt ihn wohl nicht getroffen, ich glaube, heute war er nicht da. Ich meine den jungen Grafen, der Monsieur Leubolds Oheim im

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