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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Laboratorium hin und wieder zur Hand geht. Er ist aber Franzose, von Saint-Germain, ein wohlklingender Name, findet Ihr nicht? So poetisch. Es gehen allerlei alberne Gerüchte um seine besonderen Fähigkeiten herum. Arm kann er nicht sein, er wohnt im Alsterschwan , diesem vornehmen neuen Gasthof am Jungfernstieg.»
    Rosina kam nicht mehr dazu zu antworten, Matti stand in der geöffneten Tür, und Rosina nahm sich vor, diesen jungen Grafen mit dem poetischen Namen noch heute genau anzusehen. Womöglich war seine Freundlichkeit falsch wie sein Akzent, und er überspielte mit dem nur einen sächsischen.
     
    Rosina war voller Ungeduld, als Matti sie und Molly hereinbat. Lies sitze auf ihrer Lieblingsbank im Garten, erklärte Matti, sie schlafe, Rosina möge sie später begrüßen. Es sei draußen zwar längst zu kalt, aber Lies habe sich mal wieder in drei Decken gehüllt, je älter sie werde, umso lieber sei sie unter freiem Himmel. Wenn man den allergrößten Teil seines langen Lebens als Fahrende verbracht hatte, mochte das wohl so sein.
    Matti war eine zarte Person von unbestimmtem, jedenfalls hohem Alter, ihr beinahe klösterlich anmutendes Gewand aus feinstem Wollstoff war von dunklem Grau und makellos sauber, dazu trug sie wie stets eine weiße Haube, ihr Haar war silbern, ihre veilchenblauen Augen waren immer noch klar. Wie ihr Geist. Sie schenkte Molly und Rosina aus dem großen, beim Feuer in der Küche hängenden Kessel Tee von Brombeerblättern, Holunder, Melisse und ein paar Krümeln kostbarem Ingwer ein, setzt sich zu ihnen an den polierten runden Tisch in der Wohnstube und sah Molly aufmerksam an.
    «Du kennst Molly Runge», fragte Rosina gespannt, «von früher?»
    «Ihr wart hin und wieder in unserem Laden», erinnerte Molly sie, «auch meine Mutter oder unsere Magd kennen Euch. Auch von früher.»
    «Ach, Kind», sagte Matti, «es hat lange gedauert, aber ich ahnte, dass der Tag kommt. Ich habe immer gewusst, wie gut du aufgehoben bist und wie sehr du geliebt wirst. Nur das war wichtig. Doch wenn Rosina erst mal ihre vorwitzige Nase in eine Sache steckt, die sie nichts angeht», sie tätschelte liebevoll entschuldigend Rosinas Hand, «muss man mit allem rechnen. Wie hast du es herausgefunden?»
    Molly sah sie ratlos an, blickte zu Rosina, und die sagte: «Nur vermutet, Matti. Im Frühjahr hat mich jemand gebeten, nach seiner verschollenen Tante und deren hier geborenen Tochter zu suchen, die Einzelheiten erzähle ich dir ein andermal, aber es gab keine Anhaltspunkte. Nun gibt es da plötzlich ein Säuglingshemdchen, Mollys einzige Erinnerung an ihre ersten Monate. Eingestickt sind Initialen, die aber nicht ganz stimmen, der Buchstabe für den Familiennamen ist ein M, kein R für Runge. Wichtig wurde das aber erst, als das Hemdchen verschwand und niemand wissen wollte wieso und wohin. So ein unschuldiges kleines Hemdchen bekam plötzlich Bedeutung.»
    «Ach, das kleine Hemd. Ja, das hat Antonia bestickt, ich erinnere mich gut. Wieso ist es jetzt verschwunden? Ich verstehe nicht …»
    Molly atmete plötzlich schwer, ihr Gesicht war kreidebleich. «Es stimmt», flüsterte sie atemlos, «es stimmt wirklich?»
    «Um Gottes willen, Rosina!» Matti war aufgesprungen. «Ich dachte, sie weiß es.»
    Mit schnellem Griff bugsierte sie Molly in den Lehnsessel am Kachelofen, hob ihre Füße auf den davor stehenden Hocker und hielt ihr den Becher an die Lippen. «Trink ein bisschen, alles ist gut, wirklich, wir alle haben das getan, was gut war. Für dich und für deine Eltern am besten. Jedenfalls waren die Runges dir immer gute, liebende Eltern.»
    Nur zwei Mal habe sie als Hebamme bei einem Betrug mitgemacht, erklärte sie hastig, wie er für Wehmütter aus sehr gutem Grund unter schwerster Strafe stehe, nur zwei Mal. Sie habe es nie bereut.
    «Du musst deine Mutter nach deiner Geschichte fragen, Molly. Ich kann dir nur sagen, dass sie damals zwei Monate hier bei mir war, die letzten beiden ihrer vermeintlichen Schwangerschaft, weil die Gefahr einer viel zu frühen Geburt bestand. Niemand hat daran gezweifelt, dass es tatsächlich so war. Warum auch? Bis dahin sieht man vielen Frauen ihren Zustand bei unseren üppigen Röcken nicht an, und ich habe hier mehr als eine Frau mit einer ungewissen Schwangerschaft betreut und gepflegt, damit sie ihr Kind nicht verliert. Das Haus stand vor zwanzig Jahren noch einsamer als heute, die Hecken waren damals schon hoch und dicht. Niemand hat bemerkt», sie lächelte

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