Die Nacht des Schierlings
nicht erlauben, sonst bestellt der Kaiserwirt das nächste Mal bei Sievers. Was …»
«Du redest schon wie dein Vater.» Magda Hofmanns Stimme klang unnatürlich hoch, sie entzog ihrer Tochter mit einem Ruck ihre Hände. «Kannst du nur an die verdammte Backstube denken? Bruno ist – weg.»
«Aber ich dachte doch nur …»
«Ja, du dachtest. Was denn?»
«Ich hab Ludwig und Sven in die Stadt geschickt», bemühte Elwa sich, die Wogen zu glätten, «kann ja nicht schaden, wenn die sich mal ’n bisschen umsehen. Zuerst bei Jakobsen in der Neustädter Fuhlentwiete, da war der Meister in der letzten Zeit ab und zu, er spielt da Karten …»
«… mit Freunden.» Magda Hofmann sah Elwa streng an. «Und nur zum Vergnügen, nicht um Geld. Wie jeder brave Mann. Wer hart arbeitet, braucht auch Vergnügen. Dagegen ist nichts einzuwenden.»
Molly warf Elwa einen erschreckten Blick zu, die zuckte nur die Achseln. Die Meisterin erhob selten die Stimme, es hatte sogar Zeiten gegeben, da hatte Elwa sie für ein dummes Lamm gehalten. Trotzdem war sie Ärgeres gewöhnt. Schließlich war sie nur eine Dienstbotin, wenn sie auch mehr als die Hälfte ihres Lebens in diesem Haus verbracht hatte und eher wie eine arme Verwandte behandelt wurde. Wenn es ihr trotzdem mal zu arg wurde, drohte sie, zu nächstem Johanni zu gehen, aber nachdem Meister und Meisterin sich angemessen erschreckt gezeigt hatten, brummelte sie, bis dahin sei ja noch Zeit, man werde sehen. Und blieb. Jahr um Jahr.
Gegenüber dem neuen Meister hatte sie damit noch nie gedroht. Elwa war nicht dumm und hatte ein gutes Gespür für das, was in der Luft lag. Die meisten Dienstboten wechselten ihre Herrschaft, manche jährlich, für sie war das nichts. Sie hatte niemanden sonst, nicht einmal eine weitentfernte Base. Nur hier war ihr Zuhause, die Meisterin und Molly waren ihre Familie. Ludwig auch, der war fast so lange im Haus wie sie. Sie fände schon irgendwo anders Arbeit, sie war noch kräftig genug und stand im Ruf, tüchtig, ehrlich und fleißig zu sein. Aber sie wollte bleiben, und Runge, der alte Meister, hätte sie auch nicht gehen lassen. Der neue, dieser plötzlich schlau aufgestiegene, zugereiste Geselle hingegen, sah sie manchmal auf eine Weise an, die sie wissen ließ, er habe nichts gegen eine andere Hausmagd.
Wenn es die Meisterin nicht so schändlich demütigen würde, hätte Elwa ihrerseits nichts dagegen gehabt, wenn statt ihrer Hofmann verschwände, zum Beispiel auf einem holländischen Segler nach Ostindien oder einem englischen nach den amerikanischen Kolonien. Auf Nimmerwiedersehen.
Sie wolle sich wohl den Mund verbrennen, hatte Ludwig geschnauzt, als sie ihm genüsslich davon erzählt hatte. So ’n Geschwätz würde die Meisterin nicht verzeihen. Außerdem, hatte er nach einem tiefen Atemzug hinzugefügt und dabei kraftvoll eine Portion Mandeln für das Orangenmarzipan im großen Mörser zerstampft, außerdem sei der Meister gerade dabei, sich in der Stadt Feinde zu machen. Das sei schon genug.
Elwa hatte nicht gefragt, wieso das genug sei und wozu, weil just in diesem Moment der Meister mit einer neuen Kundin in die Backstube gekommen war, eine Madam mit roten Apfelbäckchen und zwitschernder Stimme, ihre Karriole mit einem zierlichen Fuchs an der Deichsel war an der Linde direkt vor der Tür festgemacht. Kam keine Schubkarre mehr durch.
Molly hätte ihrer Mutter gerne etwas Tröstliches gesagt, leider fiel ihr nichts sein. Wäre es noch Sommer, hätte sie zu bedenken gegeben, der so schmerzlich Vermisste sei am vergangenen Abend vielleicht vor den Toren gewesen, so wie es viele taten, an einem schönen Abend wohl die halbe Stadt, um die gute Luft zu genießen oder auf der Allee vor dem Steintor den Korso der Kutschen und die flanierenden Damen und Herren in ihren feinen Kleidern zu bewundern. Dann habe er den Toresschluss versäumt, kein Geld mehr in der Tasche gehabt, um die Gebühr für den späten Einlass zu bezahlen. Nun seien die Tore wieder offen und die Sonne längst aufgegangen, sicher spaziere er gleich zur Tür herein.
Sie seufzte verhalten. Wenn Bruno Hofmann erst spät ausgegangen war, also lange nach Sonnenuntergang und Toresschluss, war er sicher nicht aus dem Tor, sondern schnurstracks in sein bevorzugtes, kaum eine Viertelstunde entferntes Gasthaus gegangen.
Als habe Magda die Gedanken ihrer Tochter gelesen, sagte sie leise: «Er hat gesagt, er müsse dieser Tage nach Bergedorf. Deshalb dachte ich zuerst, er ist
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