Die Nacht des Schierlings
überbringen, die ihn nicht wirklich traurig stimmte, bald würden manche sogar flüstern, nichts habe ihn froher machen können. Doch mit der Botschaft brachte er seiner Meisterin Kummer und Leid, also trödelte er herum, um ihr noch eine Stunde der Hoffnung zu lassen. Und um den Moment hinauszuschieben, in dem er sehen musste, wie sich ihr schönes Gesicht in eine gequälte Maske verwandelte. Es würde nicht von Dauer sein, bestimmt nicht, sie war stark, sie würde sich erholen, darüber hinwegkommen. Vielleicht sogar irgendwann erkennen, dass das Schicksal es nicht ganz schlecht mit ihr gemeint hatte, als es ihr diesen Ehemann – er verscheuchte die imaginären Bilder mit einer raschen Bewegung beider Hände vor den Augen. Egal was später war, jetzt war es fürchterlich.
Doch dann, plötzlich, hatte er es sehr eilig. Die Nachricht war neu, sie würde durch die Stadt laufen wie der Wind, würde aufgebläht werden, ausgeschmückt mit ein paar grausamen Details hier, ekligen Nuancen dort. Es würde kummervolle Gesichter geben, in deren Augen gleichwohl das Vergnügen am Grauen und an den Schicksalsschlägen anderer glitzerte. Das hatte er oft gesehen und auch immer wieder an sich selbst gespürt. Nun war es anders. Wenn die Meisterin auch ein Unglück fürchten mochte, auf diese Nachricht war sie nicht vorbereitet. Er wollte sie ihr selbst bringen, bevor sie es von einem der Klatschmäuler erfuhr.
Bruno Hofmann war tot, allzu bezecht ertrunken im Fleet, nur wenige Schritte von zu Hause.
Ludwig straffte die Schultern, spreizte die verkrampft geballten Fäuste und öffnete die Tür. Er hatte gedacht, sie werde noch in der Küche sitzen; als er in die Diele trat, stand sie vor ihm, die Ärmel ihrer Bluse hochgebunden, die Hände bemehlt, das Gesicht gerötet.
«Ludwig», sagte sie und versuchte ein Lächeln, «hast du meinen verlorenen Gatten gefunden? Hat ihn etwa die Nachtwache einkassiert und ins Loch gesperrt? Muss ich ihn auslösen? So dachte ich schon. Das passiert eben, wenn man sich nachts in den Gassen herumtreibt, aber ein Mann kann nicht alle Tage hinterm Ofen sitzen, und alle Abende», sie lachte hoch und dünn, «er muss auch mal unterwegs …» Ihr Plappern brach ab, ihre Hände fanden sich und hielten einander fest wie verhakte Anker. «Ich sehe es in deinem Gesicht, du hast ihn gefunden», stellte sie fest. Ihre Stimme war plötzlich tonlos, ihr Gesicht wieder bleich wie ein Leintuch. Langsam, als sei er aus Glas, ließ sie sich auf den für behäbige Kundschaft gedachten Lehnstuhl sinken. «Wo? Auf der Großneumarkt-Wache?»
Ludwig hatte darüber nachgedacht, wie er es ihr sagen sollte. Rücksichtsvoll. Aber wie geht das? In so einem Fall?
«Nicht auf der Wache», sagte er, «im Eimbeck’schen Haus . Er kommt nicht mehr, Magda, er ist tot.» Ohne es zu bemerken, fiel er zurück in den Ton jener Zeit, als er ein Bäckerjunge gewesen war und sie ein Mädchen mit Zöpfen und Sommersprossen.
B runo Hofmann, der Konditormeister vom Rödingsmarkt, hatte immer gerne gelebt. Er hatte es verstanden, sein Leben angenehm einzurichten, und obwohl er kein Aufschneider gewesen war, hatte er sich gern als Mittelpunkt einer Gesellschaft gebärdet und gefühlt. Besonders nach seinem Aufstieg zum Meister hatte es an solchen Gelegenheiten nicht gefehlt. Sein Tod hingegen war einsam gewesen. Im Fleet ertrunken hieß es hier, im Schlick erstickt hieß es dort, und mancher, der ihm gerade noch geschmeichelt hatte, wusste jetzt hinter vorgehaltener Hand allerlei zu flüstern, was dem Toten kaum zur Ehre gereichte. Da das jedoch immer geschah, wenn ein Mann, insbesondere ein ehrenwerter, ein so unerwartetes und wenig rühmliches Ende fand, kümmerte es zunächst kaum jemand.
Die Tür der Konditorei blieb an diesem Morgen verschlossen. Unter den Nachbarn wunderte das niemand, der Tod des Konditors hatte sich den Rödingsmarkt hinauf und auf der anderen Fleetseite wieder hinunter in Windeseile herumgesprochen. Dennoch wurde fleißig an die Tür geklopft, um zu kondolieren, um der Witwe und ihrem Haus Hilfe anzubieten, um mehr oder weniger taktvoll zu erfragen, was tatsächlich geschehen war. Denn an den kursierenden Nachrichten stimmte nur eines überein: Bruno Hofmann war tot. Über das Wie und Warum und den Zustand der Leiche gab es unterschiedliche Angaben, die allesamt von dem erstaunlichen Einfallsreichtum und der Vorstellungskraft doch zumeist des Lesens und Schreibens unkundiger Leute zeugte.
Madam
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