Die Nacht des Schierlings
sicher haben wir uns schon getroffen. Es geht um meinen Mann, natürlich.» Wieder lächelte sie matt. «Hatte er etwa Schulden bei Euch?»
«Setzt Euch, Meisterin.» Elwa war beim Eintreten der Meisterin aufgesprungen, nun nahm sie deren Arm und führte sie zu dem Stuhl beim Fenster, auf dem Wagner gesessen hatte. «Lasst Euch bloß nichts einreden, der hatte keine Schulden, war ja genug Geld da. Das ist der Weddemeister.»
«Ach, natürlich. Daher kenne ich Euren Namen. Ihr seid gekommen, weil er nicht einfach nur ertrunken ist, nicht wahr?»
«Möglicherweise, Madam Hofmann, ja, möglicherweise. Da ist eine Verletzung in seinem Nacken – seid Ihr sicher, dass Ihr das hören wollt?»
Sie richtete sich sehr gerade auf und blickte starr. Dann schloss sie die Augen, zwei Tränen rannen sanft über ihre Wangen, ihr Nicken war kaum wahrnehmbar.
«Nun redet endlich», knurrte Elwa, «damit wir’s hinter uns bringen.»
«Nun gut, wenn Ihr meint. Da ist also eine Verletzung an seinem Nacken, der Physikus hat sie zuerst für belanglos gehalten. Bei näherer Betrachtung allerdings, ja, es ist möglich, dass die Verletzung von einer Rangelei herrührt. Im Gasthaus vielleicht? Wenn Streit bitter wird, führt er leicht zum Tod. Dann …»
«Der Meister ließ sich nicht auf solche Raufereien ein.» Elwas Ungeduld wurde heftiger. «Der war ’n feiner Mensch, Ihr könnt jeden fragen. Vor ein paar Tagen ist er in ’ne kleine Schubserei geraten, er wollte nämlich einem Freund raushelfen, da hat er auch was abgekriegt. Nur ’n paar kleine Schrammen. Das war nicht der Rede wert und hatte mit ihm nichts zu tun.»
Wagner nickte und unterdrückte einen Seufzer. «Ein feiner Mensch. Natürlich. Wann ist er gestern Abend aus dem Haus gegangen? Madam Hofmann? Könnt Ihr mir das sagen?»
«Spät. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, es hatte gerade zehn geschlagen. Es war eine Ausnahme, für gewöhnlich gingen wir nicht so spät aus. Es hat aber nichts zu bedeuten, er hatte hart gearbeitet und abends – nun, wir hatten Pläne gemacht. Für den Winter, geschäftliche Belange eben. Welches neue Konfekt wir einführen wollen, welche neuen Kunden gewinnen und auf welche Weise.»
Sie meine bedeutende Kunden wie die besten Kaffeehäuser und Gasthöfe. Sie belieferten schon den Kaiserhof am Neß, in dem auch die Gäste des Rats logierten, der habe jedoch nur der Anfang sein sollen. Ihr Gesicht war nun nicht mehr ganz so bleich, als belebe es sie, von der Tatkraft ihres Mannes zu sprechen.
«Und da könntet Ihr vielleicht recht haben, Weddemeister, unser Erfolg und die Ideen meines Mannes haben sicher manchem nicht gepasst. Er hatte große Pläne. Die gingen ihm im Kopf herum, damit schläft es sich schlecht. Da ist es doch ganz vernünftig, wenn er noch ein wenig hinauswollte.»
«Nach zehn Uhr. Ja, das dachte ich schon. Da war ablaufendes Wasser, bei auflaufendem Wasser wurde er gefunden. Deshalb frage ich mich, warum er nicht aus dem Fleet herausgeklettert ist und sich gerettet hat. Er lag nahe bei einer der Leitern. Ich denke», besorgt beobachtete er ihre wieder zunehmende Blässe, die wieder geschlossenen Augen und fuhr behutsamer fort, «möglicherweise, Madam, könnte ihn jemand dort unten festgehalten haben, bis er, bis er – nun ja.»
Magdalena Hofmanns Augen öffneten sich, sie starrte ihn an, und Wagner wusste nicht zu entscheiden, was darin zu lesen war. Angst, Zorn, Unglaube, Verzweiflung?
«Unmöglich», flüsterte sie rau, «das ist ganz unmöglich. Wer sollte denn …» Sie schwankte, ihre Hände umklammerten die Armlehnen des Stuhls, und ihr Atem ging schwer.
«Jetzt isses genug», rief die Magd. «Ihr seht doch, wie schwach sie is’.»
«Lass nur, Elwa, es geht schon wieder. Monsieur Wagner …»
«Nee, Meisterin. Es geht gar nicht, und der Weddemeister kann später wiederkommen. Morgen. Jetzt bring ich Euch in Eure Kammer, und dann gibt’s Tee von Hopfenblüten mit ’ner Prise Baldrian und Melisse.»
Unermüdlich weiter auf sie einschwatzend, führte die Magd Madam Hofmann hinaus, Wagner hörte sie die Diele durchqueren und die Treppe hinaufgehen, bis das Reden zum Murmeln wurde und schließlich irgendwo im Haus versickerte. Er kannte diese Art von resoluten dienstbaren Geistern, die es schwermachten zu entscheiden, wer hier wem folgte, zur Genüge. Diese Elwa allerdings gehörte zu der ruppigsten Sorte.
Wagner wusste, wann es sinnlos war, etwas zu fordern oder gar anzuordnen, dennoch
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